Strategie im “postfaktischen Zeitalter”: Wie kann sich unser freiheitlich-demokratisches System gegen Desinformation und Propaganda verteidigen?

Thematische Einführung durch Generalleutnant a.D. Kurt Herrmann

Strategie im „postfaktischen Zeitalter“: Wie kann sich unser freiheitlich-demokratisches System gegen Desinformation und Propaganda verteidigen?

10. Clausewitz-Strategiegespräch in Kooperation mit der Deutschen Atlantischen Gesellschaft e.V. und der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund in Berlin am 25. April 2017

Kaum ein Begriff ist derzeit so umstritten wie das Wort des Jahres 2016: „Postfaktisch“. Dass Fakten geleugnet oder durch „alternative Fakten“ ersetzt werden, das ist im Grunde keine neue Erkenntnis. Allerdings haben die raschen und gezielten Verbreitungs­mög­lichkeiten durch die Digitalisierung im Cyber- und Informationsraums eine neue, ungeahnt hohe Brisanz entstehen lassen. Was bedeutet es für die Politik und unsere Sicherheit, wenn mit gezielter Desinformation und Propaganda versucht wird demokratische Strukturen und Prozesse zu unterminieren und eine Erosion ethisch-moralischer Werte in unserer westlichen Gesellschaft zu bewirken? Diese und andere Fragen bestimmten das 10. Clausewitz-Strategiegespräch.

Auch mit Hinweis auf die grundsätzlichen Fragen zum Thema des Abends eröffnete der Bevollmächtigte des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund, Staatssekretär Dr. Michael Schneider, die Veranstaltung. In dem wieder gut gefüllten Saal konnte er deutlich über zweihundert Teilnehmer begrüßen. Mit Blick auf die inzwischen erreichte zweistellige Anzahl an Gesprächsrunden würdigte Dr. Schneider ebenfalls die damit fest etablierte und erfreulich gut angenommene Veranstaltungsreihe der drei Kooperationspartner.

Der Präsident der Clausewitz-Gesellschaft, Generalleutnant a.D. Kurt Herrmann, ging bei seiner inhaltlichen Einführung insbesondere auf die sicherheitspolitische Bedeutung moderner Formen offener und verdeckter Beeinflussung der öffentlichen Meinung ein. Dabei bezeichnete er sie als Elemente hybrider Bedrohungen in einer durch tiefgreifende Umbrüche geprägten internationalen Sicherheitslage.

Prof. Dr. Christian Schicha, Professor für Medienethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zeigte mit seinen sehr anschaulichen Bespielen, dass „Fake News“ im digitalen Zeitalter im Grunde ein altes Phänomen mit neuem Gefahrenpotential darstellen. Seinen Ausführungen zufolge ist mit der Einführung des Internets die Summe der „Fake News“ massiv angestiegen. Schicha analysierte u.a. auch wesentliche Merkmale und Risiken moderner Medien im Vergleich zu den klassischen, vor allem Print-Medien. Dabei klammerte er ökonomische Aspekte nicht aus, erläuterte Werkzeuge sowie Verfahren zur Erkennung falscher Nachrichten und erwähnte auch konkrete Lösungsansätze zur Verhinderung oder Abwehr der eingangs vorgestellten potentiellen Risiken.

Der Stellvertretende Sprecher der Bundesregierung, Georg Streiter, stellte in seinem Impulsvortrag praktische Erfahrungen aus seiner früheren journalistischen und derzeitigen amtlichen Tätigkeit in den Mittelpunkt. Dabei zeigte er beispielhaft konkrete Ansätze und Vorgehensweisen im täglichen Kampf gegen Desinformation und Propaganda auf. In diesem Zusammenhang hob er allerdings auch hervor, dass die Vielfältigkeit der Szenarien und die Dynamik der rasanten Entwicklung von Angriffen im Informationsraum eher flexible, fallbezogene oder spezifische Schutz- bzw. Verteidigungsmaßnahmen erfordern. Nach Streiters Einschätzung dürfte eine ganzheitlich, umfassende Verteidigungsstrategie nur schwer zu entwickeln und kaum zu realisieren sein.

In der lebhaft geführten, breit gefächerten Diskussion standen zunächst vor allem Fragen im Mittelpunkt, die sich auf gesetzlich-rechtliche Grundlagen, Aufklärungs- und Beurteilungsmöglichkeiten von informationeller Manipulation und auf den notwendigen personellen, materiellen und finanziellen Aufwand für eine effektive Verteidigung im Informationsraum bezogen. Thematisiert wurden ebenfalls Möglichkeiten der Selbstkontrolle der Medien, Chancen und Risiken eines externen Medien-Monitorings sowie Umfang und Qualität der „Selbstheilungskräfte“ unseres politischen System und unserer Gesellschafts­ordnung. Schließlich fokussierten sich die Fragen und Kommentare auf die allgemein-politische und individuelle Verantwortung im Umgang mit den modernen Medien und auf die künftig zu erwartenden sicherheitspolitischen Konsequenzen. Dabei wurden nicht zuletzt die notwendigen Schutzmaßnahmen gegen Desinformation und Propaganda betrachtet. Die Risiken und Bedrohungen durch entsprechende Manipulations-, Zersetzungs- oder gar Sabotagemaßnahmen könnten – unter Verwendung von „Big Data“ und modernen, komplexen Algorithmen (Schlagworte z.B.: Social Bots, Robo Bots und Targeting) – leicht und schnell strategisch relevante Ausmaße erreichen.

Überwiegend Einvernehmen herrschte bei den Teilnehmern darüber, dass den im Verlauf der Gesprächsrunde erörterten Gefährdungen unseres demokratischen Systems insbesondere auch mit einem hinreichenden Maß an politischer Vernunft begegnet werden muss. Dazu gehören vor allem ein verantwortungsvoller, wahrheitsgemäßer Umgang mit Fakten und eine maßvolle Sprache, die auf bewusste Tabubrüche und maßlose Diskreditierung unserer staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen sowie deren Repräsentanten verzichtet.

Deutlich wurde letztlich, dass Sicherheit im Cyber- und Informationsraum alle Bürgerinnen und Bürger unmittelbar betrifft oder betreffen kann. Den notwendigen Schutz zu gewährleisten, das erfordert eine effektive Verteidigung als gesamtstaatliche Aufgabe. Hierzu bedarf es vor allem auch einer hinreichenden Akzeptanz in der Gesellschaft gegenüber Schutzmaßnahmen und einer entsprechenden Bereitschaft jedes Einzelnen zur Übernahme individueller Verantwortung im Umgang mit den modernen Medien.

Die durch das Podiumsgespräch im Auditorium angeregten Diskussionen wurden auch beim anschließenden Empfang noch intensiv und engagiert in wechselnden Gruppierungen fortgesetzt.

KH

Quelle der nachfolgenden Abbildungen: Landesvertretung Sachsen-Anhalt:

Staatssekretär Dr. Michael Schneider bei seiner Begrüßung

Thematische Einführung durch Generalleutnant a.D. Kurt Herrmann

Professor Dr. Christian Schicha bei seinem Vortrag zum Thema „Fake News im digitalen Zeitalter – ein altes Phänomen mit neuem Gefahrenpotential“

Der Stellvertretende Sprecher der Bundesregierung, Georg Streiter, spricht zum Thema „Welche konkreten Verteidigungsmaßnahmen gegen Desinformation und Propaganda sind im gesamtstaatlichen Rahmen erforderlich, realistisch und erfolgversprechend?“

Podiumsdiskussion