Leserbrief zu „Ja, mach nur einen Plan“, von Ralph Bollmann in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Ralph Bollmann gehört zu den wenigen Autoren unserer Zeit, der Erkenntnisse des preußischen Generalmajors Carl von Clausewitz (1780 bis 1831) aus der militärischen Sphäre herauslöst und zum Entschlüsseln von Vorgängen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft überzeugend heranzieht. Das ist deshalb bemerkenswert, weil sich in Deutschland auch heute noch Politiker, Soldaten, Meinungsträger und Medien mit Clausewitz schwer tun.

Seine Erkenntnisse und Axiome, mit denen er „ manchen Faltenkniff in den Köpfen der Strategen und Staatsmänner ausbügeln“ und zeigen wollte, was bei einem „Krieg“, also der schärfsten Form der heutigen möglichen Einsätze von Soldaten, „in Betracht zu ziehen ist“, sind in Deutschland in der Vergangenheit und aktuell zu wenig beachtet worden. Das intellektuelle „Handwerkszeug“, das er zum Analysieren, Vorbereiten, Führen, Nachbessern und Nachbereiten heutiger internationaler Krisenreaktionseinsätze anbietet, sind von der politisch-strategischen Ebene in Deutschland, der Politik, bisher kaum für die Praxis genutzt worden. Das hat zu Pannen, sicher auch zu Verwundeten und Gefallenen geführt. Die Amerikaner haben hingegen nach dem Vietnam Debakel seine Erkenntnisse systematisch zu nutzen versucht, teilweise mit Erfolg.

Das hat eine Reihe von Gründen: Für viele deutsche Politiker, Soldaten und Meinungsträger verkümmerten Clausewitzens Erkenntnisse zu einem Zitatensteinbruch. Er wurde vielfach in die Rolle eines Philosophen des Krieges gedrängt – was er ausdrücklich nicht sein wollte – und damit seinen Erkenntnissen der praktische Nutzen abgesprochen. Generalfeldmarschall Helmuth Graf von Moltke, der sein Werk „Vom Kriege“ neben der Odyssee und der Bibel zu seinem Lieblingsbuch erklärt hatte, versuchte, von seiner Forderung des Primats der Politik über die Streitkräfte in Frieden und Krieg abzuweichen. Die Politik sollte im Kriege schweigen. Bismarck hat die Verwirklichung dieses Ansatzes verhindert. Im sich zu Ende neigenden utopischen, ideologischen und pädagogisch-moralisierenden Zeitalter führte Clausewitzens meist verkürzt zitierte Aussage, „ Der Krieg ist die bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ , zur Auffassung , er habe gefordert, dass das Militär fortsetze und ersetze, sobald ein Krieg – politisch gewollt – begonnen worden sei. Clausewitz erfuhr auch Ablehnung und Akzeptanzschwierigkeiten, weil für ihn die moralische Reflexion über den Krieg in den Bereich der Philosophie, des Staates und seiner Gesetze gehörte. Die Philosophie sollte nach seiner Auffassung erörtern, ob Krieg der „ganzen Menschheit heilsam ist oder nicht“, also seine moralische Dimension untersuchen. Dieser hat er sich in seinem Werk konsequent entzogen und sich darauf konzentriert, was er „die Natur des Krieges“ nannte. Zutreffend stellt Ralf Bollmann in diesem Zusammenhang auch für den außermilitärischen Bereich fest, dass sich „Strategie mit Distanz und Rationalität über Gefühle und Traditionen hinwegsetzt. … Gerade in ihrer Kälte liegt die immunisierende Wirkung der Strategie gegenüber Ideologen“. Ein solcher Wegfall der moralischen Dimension wird noch immer in Deutschland für die Streitkräfte, die noch immer von Vielen vom „Schatten von Stalingrad“ in ihrer Wahrnehmung und Deutung interpretiert werden, verworfen. Neben einer zunehmenden Unbildung in militärischen Fragen in Deutschland ist das sicher ein gewichtiger Grund, warum eine Scheu festzustellen ist, die Erkenntnisse von Clausewitz für unsere Zeit zu übersetzen und sie konsequent für die Praxis heutiger internationaler Krisenreaktionseinsätze zu nutzen, an denen sich die Bundeswehr beteiligt.

Clausewitz hat in seinem Werk keine Rezepte vermitteln wollen, sondern unveränderliche Elemente vom Wesen und den Wirkungskräften von und in Kriegen in ihrer Zeitlosigkeit herausgearbeitet. Seine Erkenntnisse dieser von ihm so bezeichneten „absoluten“ oder „abstrakten Kriege“ verdeutlichte er anhand der politischen, militärischen, wirtschaftlichen und sozialen Komponenten der Kriege seiner Zeit, den „ wirklichen Kriegen“, sowie den professionellen Herausforderungen an Politiker, Planer, Truppenführer und allen an ihnen beteiligten Personen aus anderen Bereichen mit den strategischen und taktischen Konfliktfeldern („Friktionen“), die sie zu bewältigen haben. Er analysierte sie anhand einer Achse aus Zweck, Ziel und Mittel. Die Clausewitz-Wissenschaft hat für den Bereich des Militärs seine Erkenntnisse für unsere Zeit übersetzt. Für die Praxis der Einsätze sind sie noch zu wenig genutzt worden. Offenbar hat sich aber seine Erkenntnis durchgesetzt, dass internationale Krisenreaktionseinsätze nur durch einen „ Comprehensive Approach“ aller an ihnen Beteiligten zu bewältigen sind. Neben die politisch-strategischen und taktischen Ebenen seiner Zeit sind die Ebenen der Militärstrategie und der Operativen Führung getreten. Das Militär ist der Politik untergeordnet, die politisch-strategische Ebene bestimmt die „Hauptlinearmente“ der Einsätze heutiger Streitkräfte, wie dies Clausewitz gefordert hat. Sie dringt jedoch nicht „ in die Einzelheiten“ eines Einsatzes ein, verhält sich ebenengerecht, stellt also keine „ Feldwachen“ auf und „führt keine Patrouillen“. Beim ebenengerechten Verhalten aller Beteiligten, die für internationale Krisenreaktionseinsätze verantwortlich sind, gibt es aber noch immer Defizite. Der Autor wendet Erkenntnisse von Clausewitz auf andere Bereiche überzeugend an. Hoffentlich werden seine Gedanken von Wissenschaftlern und Praktikern aufgenommen, die sich mit Clausewitz beschäftigen.

Christian E.O. Millotat
Generalmajor a.D.
Jugenheim