Ein selbstbewusster Riese mit strategischen Zielen – 11. Clausewitz-Strategiegespräche

Der „chinesische Traum“ und seine politische Wirkung

11. Clausewitz-Strategiegespräch der Clausewitz-Gesellschaft e.V. in Kooperation mit der Deutschen Atlantischen Gesellschaft e.V. und der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund in den Räumen der Landesvertretung in Berlin am 20. September 2017

Lange vor Carl von Clausewitz äußerte sich schon der chinesische Stratege Sun Tzu zur Kunst des Krieges. Darauf wies u.a. der stellvertretende Bevollmächtigte des Landes Sachsen Anhalt beim Bund in Berlin, Ministerialrat Henning Baumeister, bei seinen Begrüßungsworten an die Teilnehmer des 11. Clausewitz Strategiegesprächs hin. Unter den Teilnehmern befand sich mit Johannes Lay auch der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Atlantischen Gesellschaft.

Der Moderator des Abends, der Präsident der Clausewitz-Gesellschaft, Generalleutnant a.D Kurt Herrmann, ging in seinen einführenden Worten zunächst auf die bewährte – und inzwischen auch durch die Gründung des „Regionalkreises Ost“ der Gesellschaft mit Sitz in Magdeburg vertiefte – Kooperation mit dem Land Sachsen-Anhalt ein. Danach erläuterte er die Rahmenbedingungen und Kerninhalte der für die Veranstaltung gewählten Thematik “China: Welchen sicherheitspolitischen Kurs nimmt die aufstrebende Gestaltungsmacht?”

In dem prall gefüllten Vortragssaal in der Landesvertretung an der Luisenstraße präsentierte anschließend zunächst Frau Dr. Sarah Kirchberger, Leiterin der Abteilung Strategische Entwicklung in Asien-Pazifik am Institut für Sicherheitspolitik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, einen höchst anschaulichen Einblick in die sicherheitspolitische und strategische Ausrichtung der Volksrepublik China. Mit eindrucksvollen Bildern untermalte sie ihre analytisch klaren und präzisen Feststellungen zu den Kerninteressen und strategischen Grundzügen der chinesischen Politik. Dabei ging sie insbesondere auf vier Kernpunkte ein:

  • Erhalt des gegenwärtigen politischen Systems
  • Wahrung der territorialen Integrität Chinas und Schutz seiner staatlichen Souveränität sowie seiner „Kerninteressen“
  • Absicherung der für Chinas Wirtschaftsentwicklung lebensnotwendigen Handelswege und
  • Allmähliches Zurückdrängen der US-Streitkräfte aus der Region, um China langfristig die Einnahme einer bestimmenden Rolle in Asien zu ermöglichen.

Breiten Raum nahmen in Dr. Kirchbergers Vortrag auch die Fähigkeiten der chinesischen Volksarmee, die konfliktträchtige Lage um die Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer, die neue chinesische Seidenstraßen- oder Perlenketten-Strategie (one belt, one road; OBOR), das komplexe Verhältnis Chinas zu Russland, Chinas Angst vor „Eindämmung“ durch die USA, aber auch das mangelnde Vertrauen der chinesischen Führung in die gesellschaftliche Stabilität des Landes ein.

Der Vortragende Legationsrat I. Klasse und Leiter des Referats Nah- und Mittelost, Afrika, Asien, Lateinamerika im Bundeskanzleramt, Frank Hartmann, ergänzte aus praktisch-operationeller Sicht in seinem Impulsvortag zum Thema „Welche Konsequenzen hat Chinas sicherheitspolitischer Kurs für Deutschland?“ wesentliche Punkte mit Relevanz für die deutsche und europäische Politik. Dabei sprach er u.a. an:

  • die Bedeutung und Praxis der politischen und vor allem auch wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und China, die sich z.B. im konkreten Format von Regierungskonsultationen manifestieren
  • das strategische Dreieck China-Russland-USA
  • die Bedeutung von Werte- und Regel-basierter Politik im Verhältnis zu China
  • die schwierigen Fragen zu Reziprozität und Transparenz im gegenseitigen Verhältnis sowie zur Menschenrechtsthematik und auch
  • Chinas Haltung zum Nordkorea-Problem sowie seine Möglichkeiten und Grenzen einer Einflussnahme auf seinen Nachbarn Nordkorea.

In der sehr sachlich, aber auch lebhaft geführten Diskussion wurden etliche Aspekte und grundsätzliche Fragen zu Chinas Sicherheitspolitik vertiefend erörtert. Dabei standen insbesondere folgende Themen im Mittelpunkt:

  • Chinesisches Selbstverständnis seiner Identität, wie das u.a. von der Staatsführung im „Chinesischen Traum“ definiert wird
  • Einschätzung der künftigen Rolle und Bedeutung der chinesischen Streitkräfte als Mittel der Außen- und Sicherheitspolitik, dabei vor allem eine Betrachtung der vorhandenen oder erwogenen Mittel und Fähigkeiten zur Durchsetzung chinesischer Kerninteressen. Letztlich wurde die Frage erörtert, wie die Perspektiven militärischer Fähigkeiten der Volksbefreiungsarmee zu möglicher Machtprojektion zu beurteilen seinen bzw. ob man künftig verstärkt mit offener Demonstration und tatsächlicher Nutzung militärischer Macht zur Durchsetzung nationaler politischer und insbesondere auch wirtschaftlicher Interessen Chinas rechnen müsse
  • Militärische und wirtschaftliche Bedeutung der umstrittenen, von China beanspruchten Region im Südchinesischen Meer
  • Praktische Umsetzung der Perlenketten-Strategie (OROB) und der damit verbundenen Wirtschafts- und Stützpunktpolitik
  • Chinas wirtschaftliche Macht und der daraus resultierende Einfluss auf die Weltwirtschaft insgesamt sowie speziell die Bedeutung Chinas als Wirtschafts- und Handelspartner für Europa und Deutschland
  • Chinas schwieriges oder auch ambivalentes Verhältnis zu den Staaten der ASEAN Gruppe
  • Chinas Rolle in der Shanghai Cooperation Organization (SCO)
  • Chinas Haltung zur Nuklearstrategie und Proliferation
  • Chinas Verhältnis zu Nordkorea
  • die Rolle der kommunistischen Partei und
  • Chinas Fähigkeiten und vermutlichen Absichten zu Operationen im Cyber- und Informationsraum.

Neben diesem breiten Spektrum an Diskussionsthemen aus „westlicher Sicht“ kamen auch kritische Fragen aus chinesischer Sicht, vor allem zur Perzeption Chinas und der chinesischen Politik in europäischen und deutschen Kreisen zur Sprache.

Dr. Sarah Kirchberger und Frank Hartmann parierten und beantworteten die Kommentare und Fragen aus dem sehr sachkundigen Publikum in erfreulich offener und insgesamt vorzüglicher Weise. Dabei vermittelten sie mit ihren höchst kompetenten Statements zahlreiche interne Einsichten, die vom Auditorium mit hohem Interesse und Dankbarkeit aufgenommen wurden.

Mehrfach unterstrichen wurde in der Diskussionsrunde die Auffassung, dass China nicht als  „Scheinriese“ bezeichnet werden könne. Vielmehr agiere das große und bevölkerungsreichste Land der Erde inzwischen als „wahrhafter Riese“ mit wirtschaftlichem und politischem Gewicht auf der internationalen Bühne. Es verfolge dabei einen sehr klaren, ambitionierten und vor allem auch von nationalen Interessen geprägten strategischen politischen Kurs.

Moderator Herrmann brachte zum Abschluss einer letztlich aus Zeitgründen beendeten Diskussion seine Hoffnung zum Ausdruck, dass es gelungen sei, mit dem Strategiegespräch einige Aufhellungen zu den Grundfragen über die chinesische Außen- und Sicherheitspolitik zu vermitteln und dabei auch ein wenig mehr Klarheit über die insgesamt recht komplexen  Strukturen und Aktivitäten in Chinas politischen Beziehungen zu seinen Nachbarn und zu den „westlichen Staaten“ zu gewinnen.

Ausgesprochen angeregte und intensive Diskussionen wurden in kleinen Kreisen beim anschließend von der Landesvertretung Sachsen-Anhalt gegebenen Empfang fortgesetzt.

Ermutigt durch die erneut sehr positive Resonanz der außerordentlich zahlreich erschienenen Teilnehmer am 11. Clausewitz-Strategiegespräch verständigten sich die drei durchführenden Kooperationspartner auf eine Fortsetzung des inzwischen traditionellen Gesprächsformats auch im nächsten Jahr.

Henning Baumeister

Gruppenfoto

Podiumsdiskussion

Podiumsdiskussion

Frank Hartmann

Präsident Kurt Herrmann