Erinnerungen – ein Beitrag zur Tradition unserer Bundeswehr

Buch: Viktor Toyka, Dienst in Zeiten des Wandels, Erinnerungen aus 40 Jahren als Marineoffizier, 1966 – 2006, Miles-Verlag, 295 S., ISBN 978-3-945861-57-8.

Rezension von Dr. Klaus Olshausen

Vierzig Jahre sind historisch ein kurzer Zeitraum – aber sie umreißen ein ganzes Berufsleben. Nicht viele Offiziere unserer Bundeswehr haben sich entschlossen, Erinnerungen aus Ihrem vielgestaltigen Dienst für unser Land aufzuschreiben und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
In einer Zeit, in der immer wieder von der „eigenen Tradition der Bundeswehr“ – in Ab- und Ausgrenzung zur deutschen Militärgeschichte, insbesondere der Wehrmacht – gesprochen wird, ist es bedeutsam und hilfreich, Informationen aus dem inneren Leben und „Erleben“ unserer Bundeswehr in unterschiedlichen Einheiten und Stäben, das Ministerium eingeschlossen, aufnehmen zu können.
Als Marineoffizier war Viktor Toyka vierzig Jahre aktiv Mitwirkender von seiner Ausbildung als Offizieranwärter der Crew IV/66 in Glückstadt im April 1966 bis zur Mitgestaltung der neu eingerichteten Streitkäftebasis Anfang der 2000er Jahre und der Umgestaltung der Ausbildung für den General-/Admiralstabsdienst an der FüAkBw bis 2006.
Es ist ein persönliches Buch, aber keine Autobiographie. Es ist ein sachliches Buch, aber kein Sachbuch. Man beginnt zu lesen und denkt, mal sehen, ob ich dran bleibe oder es wieder zur Seite lege. Fangen Sie einfach an und Sie werden weiterlesen. Es ist spannend. Die Umgebung, in der er handelt, wird plastisch erfahrbar und seine eigene Persönlichkeitsentwicklung vom Offizieranwärter der Crew zum Flottillenadmiral darf man miterleben. Dabei legte schon die harte, intensive Grundausbildung wichtige, nachwirkende Grundlagen: „eine menschlich anständige Ansprache, das Appeliieren an den Sportsgeist und den Wunsch, besser zu sein als Andere…“. Die folgenden Etappen auf der Gorch Fock, dem Schulschiff Deutschland, an der Marineschule Mürwik und der MUS in Plön sind Erlebnisberichte, in dem auch Licht und Schatten der gelebten Menschenführung in der Heranbildung des Offiziernachwuchses erkennbar werden.
Wer seine Schilderung der Mängel in der Ausstattung des „U 8“ liest, auf dem er sein Praktikum machte, kann dies zur Wirklichkeit heutiger Mängel in der Ausstattung unserer Bundeswehr – nicht zuletzt aufgrund lang anhaltender „Unterfinanzierung“ – in Beziehung setzen. Dies in Verbindung mit dem Führungsverhalten der Kommandeure bewirkte eine persönliche Krise, ob er Berufsoffizier werden wollte oder bald als Lt z.S. d.R. ausscheiden würde. Trotz der erlebten und gefühlten Entäuschungen entschloss er sich, Marineoffizier bleiben zu wollen. Und er stellt bilanzierend fest: „Ich habe es nie bereut“.
Es folgten viele „U-Boot-Jahre“, weitere Ausbildung für den Einsatz auf einem Zerstörer, ein intensives Jahr auf dem „Z-4“ der Fletcher Klasse, bevor er nach Auswahl für die Admiralstabsausbildung im Herbst 1979 an der FüAkBw eintraf.
Die Intensität der Schilderungen steigert sich weiter – von taktischen und operativen Herausforderungen, dem unbedingtan Zusammenspiel von Beherrschen der Technik und dem Zusammenhalt der Mannschaft, den besonderen Gegebenheiten im Ministerium beim Einsatz im Fü M und dann als Adjutant Marine beim Generalinspekteur, Admiral Dieter Wellershof. Diese Aufgabe war v.a. aufgrund der überzeugenden Persönlichkeit dieses Generalinspekteurs prägend.
Die Verantwortung als Kommandant für zwei Zerstörer (HESSEN und BAYERN) folgte. Zwei Zerstörer und doch zwei unterschiedliche Perspektiven. Zwar galt es in beiden Fällen die taktischen und technischen Herausforderungen mit dem Zusammenwirken von Führung und Mannschaft erfolgreich zu verknüpfen. Aber es war doch für alle dramatisch, mitten im Einsatz der HESSEN über seinen S 6 zu erfahren, dass dieser stolze, wenn auch alte Zerstörer sofort nach Rückkehr ausser Dienst gestellt wird. Und der folgende Einsatz mit der BAYERN brachte nicht nur eine erste Begegnung mit 30 Mann des Ujagdschiffes PERLEBERG der NVA Marine zunächst in Wilhelmshaven und dann in Warnemünde noch vor der Wiederherstellung der deutschen Einheit – zwei bewegende, aber nachdenklich stimmende Begegnungen, sondern einen wichtigen, denkwürdigen Ausbildungsabschnitt für zwei US Flugzeugträgerkampfgruppen südlich der Azoren in Vorbereitung auf deren Einsatz im zweiten Golfkrieg 1991.
See-taktisches Üben auf unterschiedlichen Ebenen mit unterschiedlichen Booten und Schiffen sowie erforderliche operative Planung für komplexe Übungen, aber auch die Bündnisverteidigung in Nord- und Ostsee waren ihm wohl vertraut, als er sich ab April 1991 als verantwortlicher Referatsleiter nicht nur mit der Konzeption der Marine, sondern auch mit der langjährig angelegten Bundeswehrplanung befassen musste. Knappe, ja zu geringe Plankostenrahmen – auch für die Marine führten zur Fähigkeitsgestaltung nach Kassenlage (design by budget), die allerdings häufig noch als strategische Ausrichtung (design by strategy) dargestellt wurde. – Dass allerdings in dieser Lage „subversive Stabsarbeit“ sowie Planen über die Bande z.B. der Politik (wg Industriestandorten der Küstenländer) gelegentlich zu wichtigen Teilerfolgen führen konnte wie beim U-212, war auch eine wichtige Erkenntnis.
Zurück in der Flotte als Kommandeur des 4. Fregattengeschaders (ohne eigenen Stab) führte er ‚geübte’ Embargooperationen im Rahmen eines deutsch-französischen Übungsverbands in der Nordsee und war anschließend mit der UNO-mandatierten „ernsthaft“ stattfindenden Embargooperation gegen das ehemalige Jugoslawien unter NATO-, WEU-Flagge befasst. Er erlebte, dass und wie diese endlich von dem „HQ Combined Task Force 440“ gemeinsam geführt wurden, das dem HQ NAVSOUTH unterstand. – Damals wird schon erkennbar, welche Möglichkeiten, aber auch Schwierigkeiten eine später vorgesehene Zusammenarbeit von NATO und EU in Kriseneinsätzen kennzeichnen sollten.
Zwar hatte Toyka schon an der FüAkBw „ganz offen die anderen Teilstreitkräfte, ihre Eigenheiten und Denkweisen kennen“ gelernt und auch in den Auseinandersetzungen v.a. im Rahmen der Bw-Planung deren Schwerpunkte und die Art ihres Vorgehnes erlebt, aber mit seiner Versetzung in das neu aufzustellende Führungszentrum der Bundeswehr kam es jetzt darauf an, auf der Grundlage des maritim geprägten Erfahrungsschatzes – auch in der Führung von und Kommunikation mit allen Mitarbeitern – das streitkräftegemeinsame, militärpolitisch und multintional geprägte Entscheiden und Handeln erfolgreich zu bewältigen. – Erneut berichtet Toyka informativ, spannend und persönlich über das Erlebte und Erreichte. Wichtig ist ihm zu erwähnen, dass über zwei Jahre „einen kontinuierlich so hohen Druck aushalten zu können“ nicht zuletzt durch „ein so menschlich warmes und kameradschaftlich herzliches Betriebs- und Führungsklima“ unterstützt wurde, dessen Wachsen, Halten und Pflegen – so Toyka – v.a. dem ersten Leiter des Führungszentrums zu verdanken ist.
Es war – neben den Meriten, die er in der Marine erworben hatte, wohl auch die überzeugende Leistung als Bereichsleiter Lageführung und dann als stv. Leiter des FüZBw, dass der Inspektuer der Marine Toyka als Leiter der Operationsabteilung (OP) wieder ins Flottenkommando nach Glücksburg holte.
Die „OP_Jahre“ (1997-2000) waren mit nationalen, multinationalen – v.a. in und mit der NATO, auch streitkräftegemeinsamen sowie zivil-militärischer Zusammenarbeit bei Katastrophen aus See überreichtlich angefüllt. Aber über die intensiveTagesarbeit mit dem Meistern zahlreicher Probleme und operative Planungen und der Führung aller Einsätze und Übungen hinaus, gelang es nach intensiver Vorbereitung, die OP in aufreibenden STAN-Verhandlungen, so zu stärken, dass ein Einsatzstab mit einem KzS an der Spitze geschaffen wurde, um das als Kommandeur eines Fregattengeschwaders selbst erlebte „Führen von Einsätzen ohne eigenen Stab“ zu überwinden, und zusätzlich die erkannte Schwäche in der Wirksamkeit Elektronischer Kriegführung durch eine als „Motor für die erforderliche Verbesserung“ kompetente Verstärkung beheben zu helfen. Leider erlebte er in seiner Zeit den „tragischen Höhepunkt“ mit der Frontkollision der deutschen TU-194 der Flugbereitschaft mit einem amerikanischen C141 Starlifter über dem Meer vor Namibia. Nach diesem tragischen Verlust der Crews und einer deutschen Segelmannschaft auf dem Flug zu ihren Wettkämpfen wurde endlich auch in allen Maschinen der Flugbereitschaft das Kollisions-Radar nachgerüstet, das in zivilen Passagiermaschinen schon seit Jahren Pflicht war.
Die beiden letzten Verwendungen führten Toyka wieder direkt in das Feld streitkäftegemeinsamer Arbeit. Seine Vorkenntnisse über das Streitkräfteamt waren rudimentär. Aber statt sich in geordneter Weise mit den Aufgaben der vielfältigen Fachabteilungen sowie der beinahe unübersehbaren Unterstellung zahlreicher Dienststellen im Inland, bei der NATO und im Ausland zu befassen, sah er sich quasi mit Dienstantritt mit der Umsetzung der Entscheidung von BM Scharping konfrontiert, ab 1. Oktober 2000 eine neue Streitkräftebasis (SKB) als fünften Organisationsbereich der Bundeswehr aufzustellen. Seine Schilderungen machen noch einmal deutlich, dass die Inspekteure von Heer, Luftwaffe und Marine erstens nicht bereit waren, zentrale Aufgaben für alle in Pilotfunktionen zu übernehmen bzw. sie dem anderen zuzugestehen und zweitens dann die Teilnahme an der vom Fü S zur Klärung vorgesehenen Klausurtagung verweigerten. Dass auch diese drastische Veränderung als „Reform von Grundauf“ zur Leistungssteigerung verkündet wurde, konnte kaum darüber hinwegtäuschen, dass es sich wie seit 1990 auch hier um eine „versteckte Form des ‚Gesundschmelzens’“ handelte mit einer Verringerung der Streitkräfte von 340.000 auf 255.000 Soldaten.
Welchen Anteil das Streitkräfteamt (SKA) und alle ihm zugeordneten und neu unterstellten Bereiche an diesem Umbau hatten, machen die Aussagen Toykas sehr plastisch. Zunächst musste das in Fachabteilungen gegliederte SKA mit einer neuen Abteilung Organisation SKB in die Lage versetzt werden, diesen Aufagebn einigermaßen gerecht zu werden. Was Unruhe, Druck und Hektik und ständige Veränderung angeht, war es für ihn – kaum vorstellbar – noch einmal eine Steigerung. „Alles war im Fluss, abrufbare, übertragbare Lösungen für neue Probleme gab es fast nie“.
Seine letzte Verwendung brachte Toyka als stv. Kommandeur und Direktor Lehrgänge zurück an die „Alma Mater“ seiner Admiralstabsausbildung. Hier traf er auf die entscheidende Phase der erforderlichen Reform der Generalstabs-/Admiralstabsausbildung zu einer Teilstreitkraft-übergreifende Lehre. Er unterstützte dieses Vorhaben seines Kommandeurs aus voller Überzeugnung und trotz vieler Hürden und erneut hektischer Arbeit gelang es, schon am 1.10.2004 den „Ersten Generalstabs-/Admiralstabslehrgang Streitkäfte“ mit gemischten Hörsälen aller Teilstreikräfte zu beginnen. Er läßt erkennen, welche Freude er empfand und welche Befriedigung es ihm gab, sich mit den jungen Offizieren auseinanderzusetzen, ihnen zuzuhören und ihnen Orientierung und Maßstäbe der Menschenführung an die Hand zu geben.
Ein letzter kameradschaftlicher Dienst für eine Marine in Zeiten des „Abschmelzens“ bestand in seiner Bereitschaft, seinen aktiven Dienst in der Marine zwei Jahre vor der Zeit zu beenden. Dabei haben aber auch die Beendigung der inzwischen ausgedehnten Zeiten als Stellvertreter sowie die Aussicht auf ein Ende des nervenden Zwischenfahrens zwischen HH und Meckenheim ihren Anteil.
So geht eine intensive, erfolgreiche 40 jährige Dienstzeit als Offizier in der Marine und der Bundeswehr unprätentiös und ohne Pathos mit einer „würdigen Form“ der Verabschiedung an der Führungsakademie zu Ende.
Der Rezensent hatte das Glück, diesen herausragenden Marineoffizier als Geschäftsführer als eine unverzichtbare Stütze seiner Präsidentschaft der Clausewitz Gesellschaft e.V. zu erleben. Auch in dieser Aufgabe voller Engagement, mit klaren Vorschlägen und Entscheidungen und als Persönlichkeit fordernd, belebend und untadelig.
Lesen Sie sein Buch und Sie mögen mir recht geben.