“Deutschland als Drehscheibe – Transitland für NATO und EU” – RK West am 13.01.2020

Foto GenLt Schelleis, Insp SKB

GenLt Schelleis, Insp SKB

Vor drei Jahren hatte Generalleutnant Dipl.-Kfm. (univ.) Martin Schelleis, der Inspekteur der Streitkräftebasis (SKB), im RK WEST zu der veränderten Aufgabenstellung seines Kommandobereichs vorgetragen. Dabei hatte die wieder verstärkt geforderte Fähigkeit zur Bündnisverteidigung eine wichtige Rolle gespielt. In diesem Zusammenhang ist es u.a. Aufgabe der SKB, alliierte Kräfte, die zu Übungen oder Truppenstationierungen nach Osteuropa verlegen, bei ihrem Transit durch Deutschland zu unterstützen. Die erste große Herausforderung bei dieser Aufgabe stellt für die SKB die unmittelbar bevorstehende US-Großübung Defender Europe 2020 dar, in der im Frühjahr dieses Jahres mehr als 20.000 US-Soldaten durch Deutschland nach Polen und ins Baltikum verlegt werden sollen. General Schelleis war freundlicherweise bereit, den Stand der Planungen und Vorbereitungen der SKB für diese Übung im RK WEST zu erläutern.

Seine Ausführungen leitete er mit einigen Bemerkungen zur Entwicklung der sicherheitspolitischen Lage im Krisenbogen Nordafrika bis Afghanistan sowie innerhalb Europas ein und stellte kurz die laufenden Einsätzen und Missionen der Bundeswehr in diesen Regionen dar. Anknüpfend an seinen Vortrag vom Januar 2017 zeigte General Schelleis noch einmal die veränderte Aufgabenstellung der SKB im Rahmen der Bündnisverteidigung auf. Dabei lag diesmal der Fokus auf den Beiträgen der SKB zur gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge und zur Sicherstellung und Funktionsfähigkeit der Drehscheibe Deutschland für den Transit alliierter Truppen.

Der Inspekteur SKB als Nationaler Territorialer Befehlshaber führt die Einsätze der Bundeswehr im Inland, sei es zur Amts- und Katastrophenhilfe, zum Heimatschutz oder in Szenarien, in denen Deutschland als Aufmarsch- oder Transitland dient. Er ist dabei eingebunden in ein Territoriales Netzwerk und ständiger Ansprechpartner der Länder, Kreise und Kommunen. Darüber hinaus arbeitet er eng mit den sog. „Blaulichtorganisationen“ zusammen. Die Gesprächsrunde der Behördenleiter zur Sicherheit in Deutschland umfasst neben der SKB die Bundespolizei, die für Bevölkerungsschutz und IT-Sicherheit zuständigen Bundesämter, zwei Arbeitskreise der Innenministerkonferenz, das Technische Hilfswerk und den Verfassungsschutz sowie auf Seiten der Bundeswehr das Kommando Cyber- und Informationsraum, das Kommando Territoriale Aufgaben und den Militärischen Abschirmdienst.

Die grundsätzliche Bereitschaft aller Beteiligter zur Unterstützung der konkreten Belange der Bundeswehr in diesem Bereich sei, wie General Schelleis ausführte, zwar erkennbar. Es liege aber auf der Hand, dass die Vielzahl der Verantwortungsträger und unser föderales System schnelle sachgerechte Entscheidungen und Maßnahmen nicht unbedingt erleichtere. Sehr eng und konstruktiv sei jedoch die Zusammenarbeit mit der Bundespolizei. Mit ihr gebe es einen besonders intensiven Informationsaustausch, ein gemeinsames Lagebild und eine gemeinsame Kommunikationsstrategie. Dies gelte selbstverständlich auch mit Blick auf die bevorstehende Übung Defender Europe 2020.

An dieser Übung, der größten US-Übung auf europäischem Boden seit 25 Jahren, nehmen insgesamt 37.000 Soldaten aus 18 Nationen teil, von denen 20.000 US-Kräfte aus den USA kommen. Neben weiteren 9.000 US-Truppen, die bereits in Europa stationiert sind, sind auch 8.000 Soldaten europäischer Nationen in die Übung einbezogen. Das Gerät der Truppenteile, vom Kampfpanzer bis zur sonstigen Ausrüstung, wird zum Teil per Schiff in niederländische, belgische und deutsche Häfen vorausgeschickt, zum anderen Teil der Großgerätereserve in europäischen Depots (Advanced Prepositioned Stocks, APS) entnommen. Die erforderlichen logistischen Transporte stellen eine besondere Herausforderung dar. Sie umfassen ca. 20.000 Ladungstücke aus den USA und 13.000 aus den APS. Die Verlegungen erfolgen im Wesentlichen im Zeitraum Februar bis Mai 2020 über bis zu 4.000 km Wegstrecke auf 12 Konvoi-Routen. Straßentransporte sollen dabei weitgehend nachts erfolgen, um Verkehrsstörungen gering zu halten.

Deutschland erbringt für die Übung im Rahmen des Host Nation Support in erheblichem Umfang militärische und zivile Unterstützungsleistungen bei Verkehrsleitung, Übernachtung, Verpflegung, Betankung und technischer Unterstützung sowie bei der Betreuung der beteiligten Soldaten. Die SKB ist dabei der erste Ansprechpartner, während die Leistungen von verschiedenen Stellen der Bundeswehr, aber auch von Behörden und der gewerblichen Wirtschaft erbracht werden. General Schelleis betonte, dass die Unterstützung eine gesamtstaatliche Aufgabe sei.

Angesichts der dargestellten Komplexität der Aufgabe und der staatlichen Strukturen sei eine intensive Kommunikation für den reibungslosen Ablauf des Transits von hoher Bedeutung. Deshalb seien alle Beteiligten bereits vorab umfassend informiert worden. Die Ministerin habe alle Ministerpräsidenten der Länder angeschrieben, der Generalinspekteur habe die Staatskanzleien informiert, und er selbst habe zusätzlich einigen Ministerpräsidenten und Kommunalpolitikern der besonders betroffenen Regionen die Übung erläutert. Morgen (am Folgetag des Vortrags) werde er gemeinsam mit Major General Andrew Rohling, dem stellvertretenden Kommandeur der US-Army Europe, in Berlin die Übung der Presse vorstellen. Man gehe davon aus, dass alles getan sei, um reibungslose Verlegungen zu gewährleisten. Natürlich könne man Störungen nicht ausschließen. Demonstrationen müsse man als Ausdruck der Meinungsfreiheit hinnehmen; man erwarte aber, dass sich etwaige Demonstranten an die Gesetze hielten.

Abschließend wies General Schelleis darauf hin, dass künftig solche Transitoperationen vom neu in Ulm aufgestellten Joint Support and Enabling Command (JSEC) durchgeführt würden, das zum gegenwärtigen Zeitpunkt dazu aber noch nicht in der Lage sei. Personal des neuen Kommandos sei aber an der Planung und Durchführung der Übung beteiligt, damit die dabei gewonnenen Erfahrungen später genutzt werden könnten.

Die anschließende intensive Aussprache deckte ein breites Fragenspektrum ab – vom Rechtsrahmen für die Unterstützung von Streitkräften in Friedenszeiten, den Auswirkungen einer hybriden Kriegsführung über die Zusammenarbeit mit den US-Streitkräften sowie den beteiligten Bundes- und Länderbehörden bis hin zu den militärpolitischen Konsequenzen einer solchen Großübung. General Schelleis betonte nochmals, dass Defender Europe 2020 kein bestimmtes Szenar unterlegt sei und die Übung sich nicht gegen Russland richte. Es gehe vielmehr darum, auf jede Art von Krise vorbereitet zu sein. Im Übrigen müsse man die Größe der Übung auch relativieren. So seien in der Übung Reforger 1988 fast 125.000 Soldaten aus den USA nach Europa verlegt worden.

Die mehr als 70 Teilnehmer der Veranstaltung fühlten sich durch den klar strukturierten Vortrag und die zusätzlichen Erläuterungen in der Aussprache exzellent unterrichtet und waren besonders dankbar für die hohe Aktualität der Information.

Jürgen Ruwe, Generalleutnant a.D.