“Modernes Wargaming an der Führungsakademie der Bundeswehr” – RK Nord am 26.03.2024

Am 26. März 2024 fand in Hamburg die dritte Vortragsveranstaltung des Regionalkreises Nord der Clausewitz-Gesellschaft e.V. diesen Jahres statt. Oberstleutnant i.G. Thorsten Kodalle, der Leiter des Innovationslabors der Führungsakademie der Bundeswehr, trug zum Thema vor:

“Modernes Wargaming an der Führungsakademie der Bundeswehr”

Im letzten November hatte uns Professor Wintjes von der Universität Würzburg das “Preußische Kriegsspiel” vorgestellt, das vor genau 200 Jahren, 1824, offiziell als Instrument in der Ausbildung von preußischen Offizieren eingeführt worden war. Ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts entwickelte sich das preußische Kriegsspiel dann – besonders unter Moltke – zu einem der wichtigsten Instrumente der Generalstabsausbildung. Mit ihm wurden Beurteilung der Lage, Entschluß und Befehlsgebung auf taktischer und operativer Ebene geübt. Wichtig: Mit diesem preußischen Kriegsspiel wurden die Teilnehmer zur Entscheidung unter Zeitdruck und unvollständigen Lageinformationen gezwungen, also bewußt zur Entscheidung “im Nebel des Krieges” und unter Stress!
In vielen Ländern wurde dieses preußische Kriegsspiel später übernommen. Es gilt bis heute als Vorbild für die Simulation von Operationsplänen und steht am Beginn der Geschichte des modernen “Wargamings”. Und sowohl für das preußische Kriegsspiel wie für modernes Wargaming bleiben die Ziele “to out-think the enemy” ebenso wie “Preparation for the unexpected”! Die Älteren unter uns kennen noch die Simulationsverfahren “SIRA” oder “KORA OA” aus ihrer aktiven Dienstzeit.

Oberstlt i.G. Kodalle beim Vortrag

Oberstlt i.G. Kodalle beim Vortrag

Jetzt ermöglichte uns Kodalle einen Überblick über den aktuellen Sachstand und einen Ausblick auf künftige Möglichkeiten von Wargaming in der Bundeswehr. OTL i.G. Kodalle durchlief die Ausbildung zum Pionieroffizier, nahm am Generalstabslehrgang teil und erwarb einen Master-Abschluß in ‚Militärischer Führung und Internationale Sicherheit‘. Nach einigen Zwischenverwendungen u.a. im BMVg wurde er Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr. Darüber hinaus ist er u.a. Lehrbeauftragter am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Seit einem Jahr leitet er das Innovationslabor der Führungsakademie der Bundeswehr.

Schon das preußische Kriegsspiel ermöglichte auch das Durchspielen unterschiedlicher Vorgehensweisen einer gegebenen taktischen oder operativen Lage. Als ‚Courses of Action Wargaming‘ mit modernen Simulationsverfahren ist dieses Verfahren in der NATO und der Bundeswehr etablierte Praxis, im Heer derzeit bereits ab Brigadeebene.
In seinem Vortrag grenzte Kodalle zunächst die Begriffe ‚Games-based Learning‘, ‚Serious Gaming‘, ‚Educational Wargaming‘ sowie ‚Analytical Wargaming‘ voneinander ab und gab einen Überblick über den aktuellen konzeptionellen Sachstand zu ‚Wargaming‘ in der Bundeswehr.

Ein Schwerpunkt des Vortrags waren die aktuell an der Führungsakademie in der Lehre verwendet “Educational Wargames”. Dabei wurde v.a. analoge Wargames vorgestellt: Hedgemony (RAND Corporation – strategische Ebene), das Operational Wargaming System (OWS) der U.S. Marines (operative Ebene), Littoral Commander (taktische Ebene) und das vom Doktrinzentrum unter Einbeziehung des LGAN entwickelte HyDRA (Hybrid Warfare Defence, Resilience & Awareness Game).
Zusätzlich zeigte Kodalle anhand aktueller Wargames im internationalen Bereich zum China-Taiwan Konflikt und der Gegenoffensive der Ukraine 2023 die Möglichkeiten und Grenzen von Wargaming auf und diskutierte sie.

Kodalle führte in seinem mitreißenden Vortrag über ein so weitgespanntes und komplexes Thema seine Zuhörer teilweise bis an deren intellektuelle Grenzen. Er stimulierte damit aber auch eine äußerst lebhafte, hoch engagierte und generationenübergreifende Diskussion, wie sie der Regionalkreis Nord selten erlebt hatte. Nach bald zwei Stunden Vortrags- und Diskussionszeit mußte die Diskussion aus Zeitgründen abgebrochen werden. Dann klang der Abend beim gemeinsamen Abendessen vom Buffet und anschließenden lebhaften Gesprächen in lockeren Gruppierungen und Einzelgesprächen aus.

Eine wichtige Erkenntnis, die v.a. in der Diskussion deutlich wurde, ist die zentrale Bedeutung des “Leitenden”, die besonders im Rahmen von Auswertebesprechungen zum Tragen kommt. Es liegt im Wesentlichen an seinem Geschick, daß einerseits ‚unzweckmäßige‘ Entscheidungen auf allen Führungsebenen klar herausgearbeitet werden, und andererseits, dies in einer Form zu tun, die Einsicht bei allen Beteiligten erzeugt, aber Spieler weder bloßstellt noch in ihren künftigen Entscheidungen entmutigt.

Der Saal war angesichts des vergleichsweise fachspezifischen Themas, trotz Osterwoche, Hamburger Schulferien und des Fußball-Länderspiels am selben Abend gut gefüllt; darunter waren erfreulich viele jüngere Offiziere.
Als Besonderheit hatten wir an diesem Abend einen Journalisten des Spiegels zu Gast, der für eine Hintergrundreportage recherchierte, offiziell akkreditiert war und vom Dezernat Öffentlichkeitsarbeit der FüAkBw begleitet wurde. Auch dieser zeigte sich vom Vortrag und der sich daraus entwickelnden Diskussion äußert angetan.


Dr. Hans-Peter Diller
Oberstarzt a.D. und Leiter Regionalkreis Nord


Bild: Quelle StBtsm d.R. Tiburski, Clausewitz-Gesellschaft e.V.