Militärischer Widerstand gegen Hitler 1932 – 1944 – RK Nord am 15.05.2024

Am 15. Mai 2024 fand in Hamburg die nächste Vortragsveranstaltung des Regionalkreises Nord der Clausewitz-Gesellschaft e.V. diesen Jahres statt. Prof Dr. Heinemann trug zum Thema vor:

“Militärischer Widerstand gegen Hitler 1932 – 1944”

Oberst a.D. Prof Dr. Heinemann studierte nach seinem Grundwehrdienst Geschichte, Anglistik und War Studies, bevor er 1983 als Hauptmann wieder in die Bundeswehr eintrat. Unterbrochen durch Verwendungen als Kompaniechef und als Referent im BMVg durchlief er zahlreiche Verwendungen in der militärgeschichtlichen Forschung, zuletzt als Stellvertretender Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Er hat sich u.a. intensiv mit der Militärgeschichte des 20. Juli 1944 und dem “Unternehmen Walküre“ befasst und darüber auch vielfach publiziert.

Der Regionalkreis Nord hatte sich dieses Thema gestellt, wissend, dass sich anläßlich des achtzigsten Jahrestag des 20. Juli 1944 vielfache Veranstaltungen mit diesem für uns alle, besonders aber für uns Generalstabsoffiziere, so bedeutendem Ereignis beschäftigen werden. Dennoch schien es für geboten, sich gerade in der Clausewitz-Gesellschaft mit dieser Thematik immer wieder auseinanderzusetzen, denn der  militärische Widerstand gegen Hitler und der versuchte Staatsstreich gegen das verbrecherische Dritte Reich bleibt ein Fundament für unser Ethos als Offizier und besonders als Generalstabsoffizier!

Einerseits das Prinzip von Befehl und Gehorsam, und andererseits die bewußte Entscheidung für das Recht und für das eigene Gewissen – so gesehen ist das Thema der zentrale Prüfstein unseres beruflichen Selbstverständnisses.

Aktiv am militärischen Widerstand gegen Hitler waren im Laufe der Jahre seit 1938 mehrere hundert Offiziere beteiligt. Noch weit mehr Offiziere waren wenigstens vorsichtig angesprochen worden, kannten Andeutungen, hatten sich aber dann doch einem Attentat verweigert – genannt seien nur die Feldmarschälle von Manstein und von Bock. Dennoch: kein einziger hat die Verschwörer verraten, nicht eine “Meldung” ging an die Gestapo oder die SS, und das in diesem totalitären Überwachungsstaat. Das ist ein eindrucksvolles Zeichen für den Grad des Zusammenhalts in diesem Teil des Offizierkorps, das geprägt war durch gemeinsame jahrhundertealte Traditionen, gemeinsame Werte, Erziehung und Ausbildung.

Erst nach dem gescheiterten Attentat und Staatsstreich vom 20. Juli 1944 begriff das Regime langsam die Bedeutung dieses Ereignisses. Attentate auf Hitler hatte  es schon früher gegeben, beispielsweise der Versuch des schwäbischen Handwerkers Georg Elser vom November 1939, Hitler im Münchner Bürgerbräukeller durch eine Zeitbombe zu töten. Mehrere Anschlagsversuche der Verschwörer im Stab der Heeresgruppe Mitte um Henning von Tresckow scheiterten 1943 aus unterschiedlichen Gründen, blieben aber unentdeckt.

Die Reichswehr hatte schon 1932 in einem Planspiel geprüft, ob sie dem Reichspräsidenten einen Militärputsch anbieten könnte als Alternative zu einer Übertragung der Macht an Hitler, hatte damals aber aufgrund mangelnder Kräfte der 100.000-Mann – Reichswehr das Risiko als unkalkulierbar hoch eingeschätzt.

Es gibt zahlreiche Indizien, daß junge Generalstabsoffiziere wie Tresckow, Stauffenberg und andere nicht zuerst operativ-taktisch, sondern strategisch-volkswirtschaftlich dachten. Spätestens 1942 war der Weltkrieg hoffnungslos verloren. Aber das Dritte Reich verfügte über keinerlei Mechanismen für eine politische Kurskorrektur oder gar für eine Beendigung des Krieges. Zudem hatte Hitler sich ja stets geweigert, ein Kriegsziel zu definieren, nach dessen Erreichen der Krieg zu Ende sei. Im Gegenteil, die von den Deutschen in allen besetzten Gebieten begangenen Verbrechen hatten das Reich friedensunfähig gemacht; mit diesem Regime würde niemand Frieden schließen. Im Umkehrschluß bedeutete das für diese Verschwörer, dass die verbrecherische Reichsregierung ersetzt, also gewaltsam gestürzt und Hitler ermordet werden müsse – letzte Konsequenz aus einer klaren militärisch-strategischen Lagebeurteilung.

In der Nachkriegszeit fanden die militärischen Vorstellungen der Verschwörer so gut wie keine Aufmerksamkeit. Auch das damalige Militärgeschichtliche Forschungsamt betitelte seine 1984 erstmals erarbeitete Wanderausstellung “Aufstand des Gewissens” und nicht etwa “Aufstand des Militärischen”. Der grundlegende Neuansatz der jungen westdeutschen Streitkräfte stand unter dem Motto “Nie wieder Staat im Staate” und war vorbehaltlos dem Primat der Politik verpflichtet. Nun hatte aber die Wehrmacht den Primat der Politik fast lupenrein gelebt. Der einzige Versuch des Heeres, diesen Primat einer verbrecherischen Politik in Frage zu stellen, war der gescheiterte Staatsstreich vom 20. Juli 1944. Diese Diskrepanz ließ sich durch eine Moralisierung des Widerstands gut überwinden.

Dass die Politiker unter den Verschwörern politisch gedacht haben, zweifelt niemand an. Dass die Theologen theologisch und die Diplomaten außenpolitisch dachten, überrascht niemanden. Zu sagen, dass die beteiligten Militärs militärisch-strategisch  gedacht haben, stößt oft auf Unverständnis, weil sie dann ja keine moralischen Beweggründe gehabt haben könnten. Darin äußert sich die Vorstellung, dass sich militärischer Sachverstand und Moral ausschließen. Aber genau das Gegenteil trifft zu: diese Verschwörer haben aus ihrer militärischen Einsicht heraus gehandelt und dabei das moralisch Richtige getan. Sie zeigen, dass Handeln aus soldatischer Verantwortung heraus sehr wohl moralisch richtig sein kann. Und weil das so ist, so das Fazit von Prof. Dr. Heinemann, sind sie auch heute für die Bundeswehr traditionswürdig.  

Bei einem so weit angelegten Thema mit so vielfältigen potentiellen Verästelungen bis hinein in die aktuelle Tagespolitik konnte Prof Dr. Heinemann in seinem spannenden Vortrag viele Aspekte und Faktoren nur anreißen. Aber diese wurden dann kenntnisreich in der dann folgenden langen und lebhaften Diskussion weiter vertieft.

Diskussion – Mitte Ltr RK Nord Oberstarzt a.D. Dr. Diller, rechts Oberst a.D. Prof Dr. Heinemann

Eine der dabei aufgeworfenen Fragen: Sollte die Politik der Bundesrepublik Deutschland nicht öfters auf militärischen Rat hören, und wie sollten hohe Offiziere in einer Demokratie reagieren, wenn eben nicht auf ihren Rat gehört wurde.

Nach der ausführlichen Diskussion endete der offizielle Teil des Abends mit dem  gemeinsamen Abendessen vom Buffet und klang anschließend in langen Gesprächen in lockerer Runde aus.

Dr. Hans-Peter Diller
Oberstarzt a.D. und Leiter Regionalkreis Nord

Bilder: Quelle StBtsm d.R. Tiburski, Clausewitz-Gesellschaft e.V.