“Innere Führung und Strategie” – RK Nord am 20.06.2023

Prof. von Rosen beim Vortrag
Prof. von Rosen beim Vortrag

Am 20. Juni 2023 fand in Hamburg die sechste Veranstaltung des Regionalkreises Nord der Clausewitz-Gesellschaft e.V. diesen Jahres statt. Oberstleutnant a.D. Professor Dr. phil. Claus Freiherr von Rosen trug zum Thema vor:

Innere Führung und Strategie”

Prof. von Rosen war langjähriger Dozent für Erziehungs-wissenschaft und Innere Führung an der Führungsakademie der Bundeswehr. 2001 übernahm er die Leitung des Baudissin-Dokumentationszentrums bei der Führungs-akademie der Bundeswehr. Zudem ist er Nachlassverwalter für Generalleutnant a.D. Prof. Wolf Graf von Baudissin.

Die Veranstaltung fand in Form eines Tischgespräches statt; dies schien bei etwas mehr als 20 Teilnehmern angemessen. Besonders erfreulich war die Zahl der jüngeren Gäste aus der Führungsakademie und der Universität der Bundeswehr; sie stellten 40% der Teilnehmer.

Als mir Prof. von Rosen vorschlug, anstelle des verschobenen Vortrags von Frau Isachenko mit einem Vortrag zum Thema „Innere Führung und Strategie“ einzuspringen, stutzte ich zunächst. Zum einen, weil ich mich an die spärliche Resonanz auf den Vortrag des damaligen Kdr ZInFüBw im Jahr 2022 erinnerte. Und zum anderen wegen der Thematik: „Innere Führung und Strategie“? Wie soll das zusammengehen? Und wer würde sich wohl für ein so sperriges, ja abstraktes Thema erwärmen?

Aber dann habe ich gerne zugesagt, denn was wäre die Clausewitz-Gesellschaft ohne gelegentliche intellektuelle Herausforderungen? Und dies wurde dieser Abend dann tatsächlich, eine intellektuelle Herausforderung, die Stoff für lebhafte Diskussionen und auch begründeten Widerspruch bot.

Was hat Strategie mit Innerer Führung zu tun?

Prof. von Rosen formulierte es so: “Angesichts der politisch – militärischen Großwetterlage seit Anfang 2022 stellt sich die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass anscheinend nur mit einem großen ‘Wumms’ auf Russlands Überfall auf die Ukraine geantwortet werden konnte. War man nicht spätestens seit der Krim-Annexion auf solch Ereignis eingestellt? Was ist da in der politisch-militärischen Strategie nicht richtig gelaufen? Muss man vielleicht nach neuen Strategie-Denkansätzen suchen?”

Dabei ging er vom Denken von Generalleutnant a.D. Graf von Baudissin aus. Graf von Baudissin war ja nach seiner Verwendung als Brigadekommandeur (PzGrenBrig 4) bei der Nato über einige Jahre in den Bereichen Planung und Operations eingesetzt, war also mit strategischen Planungen der NATO wohlvertraut.

Aber auch für den Vortragenden stellten sich intellektuelle Herausforderungen, denn die Rahmenlage hatte sich in den letzten Tagen und Wochen vor dem Vortragstermin grundlegend geändert:

Die Bundeswehr hat seit Anfang des Jahres einen neuen Verteidigungsminister, der sich durchsetzt und zupackt, ebenso einen neuen Generalinspekteur. Der Planungsstab wird wieder eingerichtet. Das Sondervermögen beginnt abzufließen. Und seit dem 14. Juni 2023 liegt die Nationale Sicherheitsstrategie vor. Hier definiert Deutschland seine strategischen Interessen – weltweit. Hier legt sich die Bundesregierung fest auf die Wiederherstellung der vollen Einsatzfähigkeit der gesamten Bundeswehr, auf das Strategische Konzept der NATO, ja sogar auf die nukleare Teilhabe. Der Kernauftrag der Bundeswehr ist Landes- und Bündnisverteidigung; alle Aufgaben ordnen sich diesem Auftrag unter. Also „back to the roots“ – Abschreckung wie zu den Zeiten von Graf von Baudissin?

Der Einführungsvortrag von Prof. von Rosen entfachte eine mehr als einstündige lebhafte Diskussion. Gäste wie Mitglieder argumentierten überaus engagiert und hochkonzentriert. Dabei zeigte sich einmal mehr, daß eine offizielle Definition von “Innerer Führung” seit bald siebzig Jahren fehlt; ebenso fehlt eine zeitgemäße Fehlerkultur in der Bundeswehr. In Deutschland besteht ein Spagat zwischen langfristigen strategischen Interessen und kurzfristigen wahltaktischen Überlegungen. Zudem wurde deutlich, wie unterschiedlich der Begriff “Strategie” je nach Erfahrungshintergrund verstanden werden kann.

Somit bot der Abend reichlich Stoff für intellektuelle Auseinandersetzungen mit dem Vortragsthema, die dann auch beim gemeinsamen Abendessen vom Buffet und anschließenden Gesprächen in lockerer Runde ausgeprägt kameradschaftlich vertieft wurden.

Dr. Hans-Peter Diller

Oberstarzt a.D. und Leiter Regionalkreis Nord

Bild: Quelle StBtsm d.R. Tiburski, Clausewitz-Gesellschaft e.V.