Informationsveranstaltung des BMVg – RK WEST am 25.09.2023

GenInspBw General Carsten Breuer

Das Ziel der vom Bundeskanzler verkündeten Zeitenwende, die Bundeswehr in kurzer Zeit wieder uneingeschränkt zur Landes- und Bündnisverteidigung zu befähigen, ließ sich nicht so schnell erreichen, wie das viele erhofft und erwartet hatten. Im Bereich der Ausrüstung erlaubten weder die Beschaffungsprozesse noch die Kapazitäten der Rüstungsindustrie eine schnelle Vollausstattung mit modernem Material. Hinzu kamen die Abgaben beträchtlicher Mengen an Waffen und Munition aus den Beständen der Bundeswehr an die Ukraine. Das führte in vielen Fällen für die militärische Führung zu einem schwierigen und unangenehmen Abwägungsprozess, was denn wichtiger sei, die unmittelbare Unterstützung einer Armee, die das Territorium ihres Landes gegen einen Aggressor zur Zeit und unmittelbar verteidigt oder die Vorsorge für einen möglichen späteren Einsatz der eigenen Kräfte im Bündnisrahmen.

In der diesjährigen Informationsveranstaltung des BMVg trugen der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, und zuvor der Abteilungsleiter Planung im BMVg, Generalleutnant Gert Nultsch, vor, wie die Bundeswehrführung mit diesem Spannungsfeld umgeht. An der Veranstaltung des Regionalkreises WEST der Clausewitz-Gesellschaft waren wie üblich das Bonner Forum der Deutschen Atlantischen Gesellschaft und die Sektion Köln-Bonn der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik beteiligt.

Im ersten Teil der Veranstaltung stellte Generalleutnant Nultsch eingangs das Zielbild der Bundeswehr vor, in das die Bündnisverpflichtungen und die nationalen Vorgaben zum Fähigkeitsprofil der Bundeswehr 2023 einfließen. Daraus lassen sich die konkreten Zielvorstellungen für die Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche ableiten. Eine gewisse Unschärfe gebe es lediglich noch in der konkreten Ausformung der Aufgaben im Bereich „Deutschland als Drehscheibe“.

Verfahren der Bundeswehrplanung
Anhand von Schaubildern erläuterte der Referent die Verfahren in der Verteidigungs- und Streitkräfteplanung und ihre zeitlichen Abläufe. Demzufolge geht der Kräftebeitrag 2025 letztlich auf die Political Guidance 2019 zurück. Dies macht deutlich, dass im Short Term (Jahre 0 – 6) die NATO keinen Einfluss mehr auf die Fähigkeitsentwicklung nehmen kann, sondern sich auf die vorhandenen nationalen Fähigkeiten abstützen muss. Neue Inputs können sich erst im Medium Term (Jahre 7 – 19) in neuen Fähigkeiten auswirken. Der Referent unterlegte diese zeitlichen Abläufe mit Beispielen aus der konkreten Beschaffungsplanung.

Fähigkeitsprofil
Zum Fähigkeitsprofil der Bundeswehr 2023 zeigte General Nultsch zunächst den personellen Rahmen mit der vorgesehenen Obergrenze von 203.300 als limitierenden Faktor und den sog. Erweiterten Planungsrahmen mit seinen Mehrforderungen als Bestandteil der konzeptionellen Zielvorgaben auf. Dabei plädierte er dafür, diesen Erweiterten Planungsrahmen nicht dem aktuellen Bestand anzupassen, sondern einen quasi atmenden Personalkörper als Gestaltungsrahmen zu erhalten. Darüber hinaus seien nicht-aktive Dienstposten im Umfang von 100.000 ausgeplant. Der Referent wies im Übrigen auf die mit der abgestuften Einsatzbereitschaft verbundenen Herausforderungen hin. Die Forderung von 30 Tage notice to move für High Readyness Force 1-Kräfte stelle gegenüber der Situation im Internationalen Krisenmanagement einen Qualitätssprung dar, der einen deutlichen Mentalitätswechsel erfordere.

Zeitabläufe im Planungsverfahren und Planungszyklen
Immer wieder aufflammender Kritik an mangelnder Schnelligkeit der Beschaffungsprozesse begegnete General Nultsch, indem er die Rolle des Integrierten Planungsprozesses im Verfahren der Haushaltsaufstellung aufzeigte. Ein Bedarf, der 2024 gedeckt werden soll, muss spätestens 2022 klar definiert sein. Dieser Zeitbedarf sei unumgänglich und im Vergleich mit dem Zeitbedarf für die erforderliche Ausbildung von Personal oder die Bereitstellung von Infrastruktur nahezu zu vernachlässigen.

Schwerpunkte der Beschaffungsplanung
Das System der Bedarfserfassung und -bewertung stellte der Referent anhand des Planungszyklus 2025 dar. Da die erfassten Bedarfe den finanziellen Rahmen übersteigen, ist eine Priorisierung zwingend erforderlich. Den größten Teil des „Kuchens“ nimmt dabei mit 31 % die Beschaffung von Munition ein, gefolgt von Beschaffungen zur Verbesserung der Führungsfähigkeit und Digitalisierung der Streitkräfte (23 %). Fast im gleichen Umfang (21 %) schlagen Beschaffungen im Bereich Unterstützung zu Buche. Da die jährliche Fortschreibung weitere Finanzbedarfe aufzeigen werde, müsse die fähigkeitsbezogene Priorisierung laufend angepasst werden.

Cluster „Brigade Litauen“
Die kürzlich entschiedene Stationierung einer Heeresbrigade in Litauen sei mit vielfältigen planerischen Herausforderungen verbunden, die in einem Cluster „Brigade Litauen“ in großen Zügen dargestellt wurden. Eine haushalterische Vorsorge sei dafür im Regierungsentwurf zum Haushalt 2024/57. Finanzplan noch nicht getroffen worden.

Haushaltsentwicklung Einzelplan 14
Abschließend stellte General Nultsch den Ressourcenplan für den Mittelfristzeitraum dar. Dabei wurde deutlich, dass das 2 %-BIP-Ziel der NATO in den nächsten Jahren nur unter Einbeziehung des Sondervermögens erreicht wird. Der Betrieb der Streitkräfte sei zwar aus dem Einzelplan 14 des Haushalts gewährleistet, fest eingeplante Rüstungsinvestitionen seien aber nur unter Verlagerung in das Sondervermögen zu finanzieren. Mit nachlassenden Beschaffungen aus dem Sondervermögen müsse der Einzelplan 14 ab 2026 steil ansteigen, um den Ausrüstungsbedarf zu decken und das 2 %-Ziel zu erreichen.

Aussprache
Die Aussprache umfasste Fragen nach besseren Planungshorizonten für die Rüstungsindustrie, der Beteiligung der Inspekteure als Bedarfsträger am Planungsprozess sowie kritische Anmerkungen zu den Möglichkeiten, den angestrebten Personalumfang tatsächlich zu erreichen.

Im zweiten Teil der Veranstaltung ging der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, auf die Herausforderungen der Zeitenwende für die Bundeswehr ein.

Stellenwert der Streitkräfte in der Gesellschaft
Er stellte eingangs fest, dass der Stellenwert der Streitkräfte in der Gesellschaft erfreulich hoch sei. Die Unterstützung bei der Bewältigung der Corona-Pandemie und der Flutkatastrophe an der Ahr sowie die gegenwärtige sicherheitspolitische Lage hätten dazu geführt, dass 82% der Bevölkerung die Bundeswehr für unverzichtbar halten. Solche Zustimmungswerte seien früher undenkbar gewesen und eine gute Voraussetzung bei der Umsetzung der Zeitenwende. Denn die bedinge einen Mentalitätswandel, der einen gesamtgesellschaftlichen Resonanzboden finden müsse. Der Mindset „Wehrhaftigkeit“ müsse im Sinne der Clausewitzschen Trinität in Politik, Militär und Gesellschaft gleichermaßen verankert sein. Die Info-Veranstaltung könne dazu beitragen, diese Gedanken in die Gesellschaft hineinzutragen. Auch die gerade in Düsseldorf zu Ende gegangenen beeindruckenden Invictus Games könnten für dieses Mindset hilfreich sein; denn es gehöre auch eine Veteranenkultur dazu, die sich – anders als in anderen Ländern – in Deutschland noch entwickeln müsse.

Unterstützung für die Ukraine
Mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Aggression berichtete General Breuer von der jüngsten Konferenz der Ukraine Defence Contact Group, in der er krankheitsbedingt den Verteidigungsminister vertreten hatte. Der Umfang der deutschen Unterstützung belaufe sich mittlerweise auf mehr als 400 Mio. €. Auch wenn in der Öffentlichkeit derzeit viel über weitreichende Waffen geredet werde, komme es für die Ukraine jetzt vor allem auf Flugabwehr an – sowohl zum Schutz der Bevölkerungszentren und kritischer Infrastruktur als auch begleitend für die Landstreitkräfte. Daneben gebe es natürlich stets auch die Forderung nach zusätzlicher Munition für nahezu alle Waffensysteme.

Landes- und Bündnisverteidigung versus Internationales Krisenmanagement
Was die künftige Ausrichtung der Bundeswehr anbetrifft, betonte General Breuer, der gerade von einem Besuch der NATO Mission Irak zurückgekehrt war, man dürfe neben der wiederbelebten Landes- und Bündnisverteidigung das Internationale Krisenmanagement nicht vernachlässigen. Beide Aufgaben seien erforderlich und bedürften auch in Teilen einer gesonderten Ausbildung. Die laufenden Einsätze sowohl im Rahmen der Bündnisverteidigung in Litauen als auch im Internationalen Krisenmanagement zeugten von der hohen Leistungsfähigkeit der Bundeswehr und dem hohen Ausbildungsstand unserer Soldaten.

Stationierung einer Brigade in Litauen
Ein besonderes sicherheitspolitisches Signal nach außen und innen sei die Stationierung einer robusten und kriegstüchtigen Brigade zur Abschreckung in Litauen. Sie sei auch als ein Zeichen zu werten, dass Deutschland bereit sei, über die früheren verbalen Ankündigungen hinaus seine Rolle im Herzen Europas wahrzunehmen und dabei ein höheres Maß an Verantwortung zu tragen. Der Ansatz dafür sei bereits im Weißbuch der Bundesregierung von 2016 gelegt worden, spätestens jetzt müsse auch die Umsetzung gelingen. Die aus der Nationalen Sicherheitsstrategie abgeleiteten Verteidigungspolitischen Richtlinien sollen dafür die konzeptionelle Grundlage schaffen.

Die sorgfältig vorbereitete Stationierungsankündigung der Brigade habe in Litauen sowie bei den übrigen Bündnispartnern hohe Erwartungen geweckt. Für die Bundeswehr sei dieses Mammutprojekt mit einem Kulturwandel verbunden. Es komme dabei darauf an, attraktive Rahmenbedingungen für Soldaten und zivile Mitarbeiter, aber auch für deren Familien zu schaffen. Die Modalitäten der Aufstellung, ob aus bestehenden oder neuaufzustellenden Truppenteilen, seien zwar noch weitgehend offen. Die Entscheidungen dazu sollen aber so zügig getroffen werden, dass im kommenden Jahr die ersten Schritte zur Umsetzung sichtbar werden.

Finanzsituation der Bundeswehr und Beschaffungsprozess
Mit Blick auf die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr stellte General Breuer heraus, dass das Sondervermögen natürlich die Bundeswehr entscheidend voran bringe. Bis zum Ende des Jahres seien Beschaffungen im Umfang von 35 Mrd. € unter Vertrag. Das sei eine ordentliche Leistung angesichts von Prozessen, die darauf angepasst gewesen seien, dass man zwar Zeit, aber wenig Geld habe. Heute habe man zwar Geld, aber wenig Zeit. Um den Beschaffungsprozess zu beschleunigen habe Staatssekretär Zimmer einen Erlass und der Generalinspekteur eine Weisung mit dem Ziel herausgegeben, die Verantwortung der Inspekteure zu stärken und ihren Handlungsspielraum zu erweitern. Mit diesem „Ermöglichungserlass“ seien insgesamt ca. 150 Einzelregelungen angepasst oder außer Kraft gesetzt worden. Im Übrigen werde man „Goldrandlösungen“ sowohl durch die Bedarfsträger als auch seitens der Industrie nicht mehr zulassen.

Zu den aktuell in den Medien berichteten Problemen bei der Ausstattung der Truppe mit digitalen Funkgeräten erwartet der Generalinspekteur, dass dort, wo es Kompatibilitätsprobleme gibt, schnell Lösungen gefunden werden. Denn es mache natürlich keinen Sinn, digitale Funkgeräte beschafft zu haben, aber dennoch die Division 25 wegen mangelnder Vollausstattung zunächst noch analog führen zu müssen.

Mit Blick auf den Haushalt müsse man auch dem Parlament gegenüber deutlich machen, dass neue Waffensysteme auch im Betrieb Geld kosten. Ab 2027 müsse daher der Haushalt deutlich ansteigen, um den Betrieb der Bundeswehr finanzieren zu können. Die Bundeswehr ihrerseits müsse nach außen erkennbar machen, was sie an Fähigkeitsgewinn aus dem Sondervermögen geschaffen habe.

Aussprache
In der abschließenden Aussprache wurden die Probleme bei der Gewinnung des erforderlichen Personals thematisiert und kritisch hinterfragt, wie die Bundeswehr der erhöhten deutschen Verantwortung im Bereich der Sicherheitspolitik und ihrem daraus resultierenden Aufgabenzuwachs ohne Wehrpflicht gerecht werden könne. Mit Blick auf die Ukraine wurde die Frage der Unterstützung mit weitreichenden Raketen noch einmal aufgegriffen. Auch die Resilienz gegenüber hybrider Kriegführung und der der Schutz kritischer Infrastruktur sowie die Verbesserung der Führungsfähigkeit durch einen Gemeinsamen Krisenstab und die Forderung nach einem Nationalen Sicherheitsrat waren Themen in der Aussprache.

Die Veranstaltung war – wie bereits in den Vorjahren – das Highlight im Vortragskalender des RK WEST.

Jürgen Ruwe, Generalleutnant a.D.