“Das preußische Kriegsspiel – Geschichte und Bedeutung” – RK Nord am 07.11.2023

Am 7. November 2023 fand in Hamburg die neunte und vorletzte Vortragsveranstaltung des Regionalkreises Nord der Clausewitz-Gesellschaft e.V. dieses Jahres statt. Professor Dr. Jorit Wintjes trug zum Thema vor:

“Das preußische Kriegsspiel – Geschichte und Bedeutung”

Ungeachtet des fachspezifischen Themas war die Veranstaltung gut besucht, nicht zuletzt von Lehrgangsteilnehmenden des LGAN 2023. Professor Dr. Wintjes, Professor für Alte Geschichte an der Universität Würzburg, hat die Durchführungspraxis des preußischen Kriegsspiels rekonstruiert und führt regelmäßig Kriegsspiele im Zusammenwirken mit Einrichtungen der Bundeswehr durch, vor allem am ‚German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS)‘ in Hamburg im Rahmen des Master-Studienganges „Militärische Führung und Internationale Sicherheit (MFIS)“ für Teilnehmende des LGAN.

Seit dem achtzehnten Jahrhundert wurden zahlreiche Varianten eines „Kriegsspieles“ entwickelt, eigneten sich aber nicht zur militärischen Ausbildung. 1824 erfand ein junger preußischer Offizier der Gardeartillerie, Oberleutnant Bernhard von Reißwitz, in Berlin eine Version, der erstmals topographische Karten und maßstabsgerechte Manöverelemente zugrunde lagen. Diese Version wurde von zwei räumlich voneinander getrennten Parteien gespielt, die jeweils nur mit der Spielleitung und nur schriftlich kommunizierten. Der Divisionskommandeur, der spätere Kaiser Wilhelm I, hörte davon und befahl eine Demonstration, an der auch der preußische Generalstabschef teilnahm. Die anfängliche Skepsis dieser Vorgesetzten wich rasch der Begeisterung und nach einer Stunde soll der Generalstabschef ausgerufen haben: „Das ist ja gar kein Spiel, das ist eine Kriegsschule!“ Er befahl die unverzügliche Beschaffung dieses ‚Kriegsspiels‘ für alle preußischen Garnisonen.

Dieses 1824 in die preußische Armee eingeführte Kriegsspiel diente angesichts notorisch klammer Kassen anfänglich vor allem als Manöverersatz. Erst ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts entwickelte sich das preußische Kriegsspiel dann – besonders unter Moltke – zu einem der wichtigsten Instrumente der Generalstabsausbildung. Mit ihm wurden Beurteilung der Lage, Entschluß und Befehlsgebung auf taktischer und operativer Ebene geübt.

Dabei wurde besonderen Wert auf die Abfassung knappster und zugleich unmißverständlicher Befehle gelegt, also auf Sprachzucht: „Nichts ist so schwer, nichts so wichtig wie das Verfassen von Befehlen. Wenn sie mißverstanden werden können, werden sie auch mißverstanden. Unbestimmte Befehle werden auch stets unbestimmt ausgeführt. Lange Befehle töten das Interesse. Zu detaillierte Befehle binden den Geist des Untergebenen. Jeder Fehler in der Befehlsgebung opfert unnütz die Kräfte, manchmal sogar das Blut der Truppen.“

Zugleich wurden die Lehrgangsteilnehmer geschult, mit den „Friktionen“ und dem „Nebel des Krieges“, beispielsweise falschen, unvollständigen oder irreführenden Meldungen unterstellter Truppenteile, umzugehen. Vom Scheitern eines einmal getroffenen Entschlußes durften sie sich nicht sofort entmutigen lassen, sondern sollten ihn hartnäckig weiterverfolgen. Andererseits aber mußten sie „grundsätzliche Lageänderungen“ frühzeitig erkennen und darauf konsequent reagieren.

So zwingt das preußische Kriegsspiel Teilnehmer zur Entscheidung unter Zeitdruck und unvollständigen Lageinformationen, also bewußt zur Entscheidung unter Stress!  

In vielen Ländern wurde dieses preußische Kriegsspiel später übernommen. Es gilt bis heute als Vorbild für die Simulation von Operationsplänen und steht am Beginn der Geschichte des modernen „Wargamings“. Und sowohl für das preußische Kriegsspiel wie für modernes Wargaming bleibt das Ziel „to out-think the enemy!“

In der anschließenden Diskussion wurde besonders auf die herausragende Bedeutung der Kriegsspiel-Leitung im Rahmen der Auswertung hingewiesen: Ihre herausforderndste Aufgabe ist es, im Rahmen von Zwischen- oder Schlußbesprechungen unzweckmäßige oder gar falsche Entscheidungen aufzudecken, die Ursachen dafür zu verdeutlichen, auf zweckmäßigere Entscheidungsmöglichkeiten hinzuweisen und die jeweilige Leitungslösung zu begründen. Die Leitung muß dies erreichen, ohne dabei Teilnehmer zu verletzen oder gar bloßzustellen; dazu bedarf es ein Höchstmaß an Takt und ein Gespür für Menschenführung!

Dies gilt genauso für die Auswertung von computergestützten Übungen oder von Gefechtsübungen.

Nach diesem mitreißenden Vortrag und der lebhaften Diskussion klang der Abend beim gemeinsamen Abendessen vom Buffet und langen anschließenden Gesprächen in lockerer Runde aus.

Dr. Hans-Peter Diller

Oberstarzt a.D. und Leiter Regionalkreis Nord

Bilder

Quellen: StBtsm d.R. Tiburski, Clausewitz-Gesellschaft e.V.; Prof. Dr. Wintjes (Abbildung Kriegsspiel Königgrätz – Problus vom 08.11.23)