“Wofür wir kämpfen” – RK Nord am 18.05.21

Erneut als online-Veranstaltung und wiederum mit guter Beteiligung hat beim Regionalkreis Nord der Vortrag „Wofür wir kämpfen – Gedanken zu Moral und Motivation unserer Soldaten im Einsatzspektrum“ stattgefunden. GL a.D. Fritz, ehemaliger Befehlshaber Einsatzführungskommando und ehemaliger Vizepräsident der Clausewitz-Gesellschaft, hatte dazu mit vielen Beispielen aus eigenem Erleben vorgetragen.

Beginnend mit der Schilderung eines Gesprächs mit jungen israelischen Soldaten, die ein Kibbuz an der libanesischen Grenze schützten, und die hautnah diese Frage für sich beantworten konnten, stellte er die Frage: Wofür dienen und kämpfen deutsche Soldaten heute? Abgeleitet vom Soldatengesetz, der Eidesformel, den soldatischen Grundpflichten, bleibt dennoch zu untersuchen: Was trägt unsere Soldaten in der Realität der Einsätze? Was füllt die Eidesformel mit Leben, was verteidigt ein deutscher Soldat im Einsatz?

Vor dem Hintergrund der derzeitigen sicherheitspolitischen Lage unseres Landes sei keine akute Bedrohung unseres Landes zu erwarten, ebenso wenig für das Vertragsgebiet von NATO und EU. Allerdings seien Risiken nicht wegzudiskutieren, wie die Ereignisse in Nah-/Mittel-Ost und mögliche Folgen für Deutschland zeigten; spätestens seit der Ukraine-Krise wüssten wir, dass wir in Europa nicht ausschließlich von Partnern und Freunden umgeben sind. Zudem habe uns Jahre vorher 9/11 „die hässliche Fratze des Terrorismus“ gezeigt, in ihrer wohl schlimmsten Ausprägung.

Für zwei Grund-Szenarien, nämlich die Verteidigung gegen einen nach den Regeln der hybriden Kriegführung kämpfenden Gegner und gegen konventionelle, terroristische Angriffe würden unser Land und unsere Bündnisse Vorsorge treffen, wie z.B. die von der Bundeswehr bereitgestellten, schnell abrufbaren Kräftepakete, wie sie z.B. in Litauen gemeinsam mit unseren Partnern übten.

Auf den ersten Blick scheint es hier Parallelen zu Kalte-Krieg-Szenarien von früher zu geben, aber nur auf den ersten Blick. Eine mögliche kriegerische Auseinandersetzung mit Russland an der Ostgrenze der NATO sähe mit Sicherheit heute anders aus als früher (vor 1989) angenommen.

Verglichen mit den israelischen Soldaten sei für den Soldaten der Bundeswehr die Wahrnehmung einer Bedrohung aus dem Osten weniger konkret.  Aber immerhin könnte sich für unsere Soldaten im Baltikum zumindest die Chance bieten, Bilder zu entwickeln, wie eine kriegerische Auseinandersetzung im Osten aussehen könnte, ähnlich wie wir das in Übungen gemacht hätten vor 1989.

Er wisse, dass die Soldaten der Bundeswehr sorgfältig ausgebildet würden und dass sie sich an ihren Soldateneid gebunden fühlen werden; er frage sich allerdings, ob das die treibenden Kräfte sind, die sie befähigen, ihre Aufträge auch unter härtesten Bedingungen auszuführen.

Derzeit sind ca. 3000 Soldatinnen und Soldaten in 10 Einsätzen auf drei Kontinenten gebunden. Betrachtet man die damit verbundenen Aufträge, so reichen diese von Ausbildung über Stabilisierung bis Terrorismusbekämpfung. Für die Soldaten wird in diesen Einsätzen auch das Ausmaß von Bedrohung und Gefährdung konkret greifbar. Die Zahl der deutschen Soldaten, die ihr Leben im Einsatz verloren haben, so Fritz, spreche eine deutliche Sprache.

Spätestens in Afghanistan, mit Schwerpunkt in den Jahren 2009 bis 2011, sind wir, so Fritz, „am scharfen Ende unseres Berufs angekommen“. Der Abzug aus Afghanistan sei über die NATO beschlossen, habe am 01.05. begonnen und am 11.09. beendet sein – ein mehr als schicksalsträchtiger Termin, „wir sind dann 20 Jahre in Afghanistan gewesen“. Und Fritz fuhr fort:

„Ich bin sicher, dass die Diskussion, ob der Einsatz und die damit verbundenen Opfer es am Ende Wert waren, noch deutlich an Intensität gewinnen wird. Ich benutze den Ausdruck „vom scharfen Ende unseres Berufes“ gern, den ich erstmals von britischen Kameraden gehört habe. Er beschreibt sehr plastisch, was gemeint ist: Das scharfe Ende kann gegen uns gerichtet sein, wir können es aber auch gegen den Gegner richten, mit anderen Worten, wir müssen unser Leben und unsere Gesundheit zur Erfüllung unseres Auftrages aufs Spiel setzen; wir müssen aber auch bereit sein, anderen Menschen Gesundheit und Leben zu nehmen, wenn es unvermeidbar ist. Das „Soldatenhandwerk“, und ich benutze diesen Ausdruck bewusst, ist buchstäblich ein blutiges, das häufig genug mit Schweiß, großen Entbehrungen, Angst und oft auch buchstäblich im Dreck verrichtet werden muss.  Das ist die Realität. Eine andere Beschreibung wäre Schönfärberei, und der Ernsthaftigkeit des soldatischen Dienste nicht angemessen“.

Zurückkehrend zu der Ausgangsfrage „was lässt das die Soldaten dies alles aushalten und wofür kämpfen sie am Ende?“ schilderte Fritz einen Besuch, den er als Kommandeur bei einem verwundeten Fallschirmjäger, eines Russlanddeutschen mit Namen Sergej, im Feldlazarett in Mazar-el-Sharif gemacht hatte, bei dem zu dem Zeitpunkt unklar war, ob er im Einsatzgebiet verbleiben konnte oder auf Grund der Verletzung nach Deutschland zurückgeführt werden musste. Der Soldat habe auf sehr emotionale Weise keinen Zweifel daran gelassen, dass er unbedingt zurück zu seinen Kameraden wollte und diese auf keinen Fall enttäuschen wollte. Daraus folgerte Fritz, „dass diejenigen, die den Auftrag ganz vorn, sozusagen im Schützengraben, erfüllen müssen, ganz wesentlich durch Kameradschaft getragen werden. Man kämpft am Ende auch für die anderen, die man auf keinen Fall enttäuschen will. Ich konnte mich im Übrigen im Fall Sergej davon überzeugen, dass sein Zug ausgezeichnet geführt wurde und die Moral hoch war. Zum anderen wird deutlich, dass man auf keinen Fall von seinen Kameraden getrennt werden will, oder, wenn dies unvermeidlich ist, schnellstmöglich wieder zu ihnen zurück möchte.“

Diesen Sachverhalt unterstrich er mit weiteren Beispielen von Interviews mit deutschen und US-Fallschirmjägern aus dem II. Weltkrieg, aus denen als Hauptmotivation erkennbar war „wir wollten uns nicht gegenseitig im Stich lassen und zusehen, dass wir den Tag überleben“.

In einer ersten Zwischenbilanz stellte Fritz fest, dass Motivation und Moral von Soldaten durch selbstlose Kameradschaft dort besonders hoch seien, wo das Gefecht in seiner ganzen Härte erlebt wird. „Es ist anzunehmen, dass Faktoren wie Eid und Auftragserfüllung sicher im Hintergrund weiter positiv wirken, aber ich persönlich bezweifle, dass sie die ausschlaggebende Antriebsfeder für das individuelle Handeln von Soldaten unmittelbar an der Front sind“.  Es sei daher sicherlich kein Zufall, dass die Pflicht zur Kameradschaft im § 12 des Soldatengesetzes fest verankert ist. Unabhängig von ihrer Bedeutung im Gefecht sei gelebte Kameradschaft auch im Grundbetrieb, bei der Ausbildung und dem täglichen Betrieb der Einheiten unverzichtbar. Betrachte man beispielsweise die Frage nach der Religionszugehörigkeit unserer Soldaten, könne man feststellen, dass heute eine nicht geringe Anzahl von ihnen entweder keiner Glaubensrichtung angehörten oder christlichen, muslimischen oder jüdischen Glaubens seien. Es sei augenscheinlich, dass die Achtung vor dem Anderen als ein wesentliches Element der Kameradschaft auch und gerade in diesen Punkten unverzichtbar ist. Und er fuhr fort: „Die Schwester der Kameradschaft ist die Tapferkeit. Sie bezeichnet nicht nur eine vom Soldaten zu fordernde Grundtugend und Grundpflicht, sondern sie ist in ihrer besten Ausprägung eine hohe Tugend, so wie es die Eidesformel auch verlangt. Der Tapfere muss willens sein und in der Lage, Leiden zu ertragen und Opfer zu bringen, am Ende das höchste Opfer, das ein Mensch zu bringen in der Lage ist, nämlich sein eigenes Leben“.

Er sei mehr als froh, dass sich unser Land im Jahr 2008 dazu entschlossen habe, die Soldaten mit dem Ehrenkreuz für Tapferkeit auszuzeichnen, deren Taten durch ein außergewöhnliches Maß an Tapferkeit bestimmt waren, was deutlich über dem lag, was man einem Soldaten grundsätzlich abverlangen kann. Zu Recht sei das Ehrenkreuz für Tapferkeit die höchste Auszeichnung der Bundeswehr und er sei überzeugt, dass das von den Soldaten auch genau so gesehen wird. „Anmerken möchte ich noch, dass in allen mir bekannten Fällen, in denen Soldaten mit dem Ehrenkreuz für Tapferkeit ausgezeichnet wurden, diese Ehrung hochverdient war. Nach meiner Beobachtung kam die Entscheidung zur außergewöhnlichen, tapferen Handlung eher spontan, aus dem Herzen heraus, und war weniger ein reiner Verstandesentschluss“.

Neben Kameradschaft und Tapferkeit gibt es für Fritz noch eine Reihe weiterer, wichtiger Faktoren, die auf die Moral und Motivation unserer Soldaten einwirken. Dazu zählen für ihn: gute Ausbildung, gute Ausrüstung und vor allem gute Führung. Alle diese Faktoren bildeten die Grundlage für die Ausübung unseres Dienstes; ihre bestmögliche Ausformung durch den Dienstherrn sollte eigentlich selbstverständlich sein, weil nämlich unverzichtbar. Dagegen sei die individuelle Umsetzung der wertegebundenen Pflichten jedes einzelnen Soldaten die Basis dafür, dass aus einer Anzahl von Individuen gute und selbstlos handelnde Kameraden würden.

Ein weiteres, Generationen von Soldaten übergreifendes Problem treibe die Soldaten im Einsatz um: Es ist regelmäßig die Sorge um die Familie und das Zu Hause. Anders als im II. Weltkrieg sei es heute glücklicherweise nicht mehr die Sorge um das Überleben zu Hause. Heute geht ginge es häufig um die Beständigkeit von Beziehungen und Freundschaften, darum, ob sich die Freunde und Angehörigen zu Hause zu viele Sorgen machen um diejenigen im Einsatz, und, was einen nach der Rückkehr in die Heimat erwarte.  Auch wenn diese Sorgen um die Familie und Freunde im Vergleich zu den Soldaten im II. WK eher gering erschienen, dürfe man ihre Wirkung auf den Soldaten nicht unterschätzen. Die Nutzung der modernen Kommunikationsmittel sei deshalb ein mehr als probates Mittel, um Abhilfe zu schaffen, auch wenn diese Möglichkeiten nicht immer zu Beginn eines Einsatzes verfügbar seien.

Eng verknüpft mit der Frage, was den Soldaten nach Rückkehr zu Hause erwartet, sei die Folgefrage „wie wird mein Einsatz in der Heimat aufgenommen, wissen die zu Hause eigentlich, warum ich im Einsatz bin?“ Und er fährt fort: „Nach meiner Erfahrung kann das die engere Familie normalerweise einigermaßen einschätzen. Aber auch hier kann es bereits kritisch werden. Ganz anders sieht das in der Regel aus, wenn man die Bevölkerung, die Öffentlichkeit als Ganzes betrachtet, und die Berichterstattung über Einsätze in den Medien als Spiegel nimmt“. Nach seiner Einschätzung wüssten nicht annähernd so viele Bürger und Bürgerinnen wie ein Einsatz der Bundeswehr und das dazu gehörige Bundestagsmandat zustande kommt als man glauben möchte. Insofern sei das von unserem ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler geprägte Wort vom „freundlichen Desinteresse“ verständlich und vielleicht sogar noch eine Untertreibung. „Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass auch fortgeschrittene Studentinnen und Studenten der Politikwissenschaft, vor denen ich einmal vorgetragen habe, keine Vorstellung davon hatten, wie ein Bundestagsmandat – wenigstens in den wesentlichen Schritten – zustande kommt. Das hat mich um so mehr überrascht, als diese jungen Frauen und Männer einen an der Bundeswehr sehr interessierten Eindruck machten und zu meinem Vortrag eine ganze Reihe von guten und vernünftigen Fragen gestellt hatten. Wenn man dieses Ergebnis rückspiegelt auf das, was man in der Bevölkerung erwarten kann, wird man schon sehr nachdenklich“.

Das gleiche „freundliche Desinteresse“ sei auch im Zuge der Corona-Pandemie zu beobachten.  Obwohl die Bilder in den Medien von Unterstützungsleistungen durch die Bundeswehr (z.B. von den Impfzentren) regelmäßig, fast täglich zu sehen gewesen seien, und dabei auch Soldaten, erkennbar in Uniform zeigten, oder auch unsere Soldaten in Portugal oder Indien bei Hilfeleistungen zu sehen gewesen seien, sei niemals von „Systemrelevanz“ gesprochen worden. Festzuhalten sei, dass unsere Soldaten dieses freundliche Desinteresse deutlich spürten und auf ihre Aufgabenerfüllung im Ganzen bezögen. „Aus dem freundlichen Desinteresse wird dann ein Faktor, der sehr negativ auf die Moral und die Motivation unserer Soldaten einwirkt. Aus der eingangs gestellten Frage: wofür kämpfen wir? Kann dann die Frage werden: warum kämpfen wir überhaupt? Vor allem, wenn es bei dem Einsatz Tote und Verwundete gegeben hat, wird diese Frage sehr dringlich und verlangt nach Antworten“.

Selbstverständlich seien wir als militärische Führer und Vorgesetzte bei der Antwort gefragt, aber wir könnten nach seiner Auffassung nicht diejenigen sein, die sie ausschließlich beantworteten, weil wir nicht die primären Auftraggeber seien. „Der Auftrag zum Einsatz kommt vom Parlament und muss mit Blick auf seine Sinnhaftigkeit und auch mit Blick auf seine Risiken vom Parlament, sprich von der Politik beantwortet werden. Eine manchmal kurze Debatte bei der Mandatierung oder bei der Mandatsverlängerung ist dabei nicht ausreichend“.

Es ehre unsere führenden Politiker und Politikerinnen, wenn sie bei Trauerfeiern für Gefallene in Deutschland präsent seien, aber auch das alleine reiche nicht aus. Es müsse bei der Politik der klare Wille erkennbar sein, auch öffentlich zu der Verantwortung gegenüber dem Soldaten zu stehen.

Natürlich sei er sich darüber im Klaren, dass bisher kein Einsatz der Bundeswehr im Parlament unumstritten gewesen sei, erfreulich sei allerdings, dass bei der Abstimmung über Mandate oder deren Verlängerung neben den Ja-Stimmen der Regierungskoalition bisher auch regelmäßig Ja-Stimmen aus Oppositionsparteien hinzugekommen seien.

Das Thema Einsatz würde regelmäßig auch von den Medien aufgegriffen:  ..„sie sind in ihrer Berichterstattung – wie wir alle wissen – frei. Ich kann mich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass die Bereitschaft – zumindest in einigen Medien – ausgewogen zu berichten, höflich formuliert, eher wenig ausgeprägt ist. Die seit längerem laufende Debatte über den Zustand der Bundeswehr ist ein gutes Beispiel dafür. Sie ist zweifelsohne berechtigt, ist aber zuweilen an Häme nicht mehr zu überbieten“.

Zur Forderung nach spürbarer Unterstützung der Bundeswehr führte er aus:

„Ich habe bereits auf die Auswirkungen auf die Moral und die Motivation unserer Soldaten hingewiesen, aber es kommt noch etwas hinzu, was häufig schlichtweg übersehen wird. Das Soldatengesetz bindet die Soldaten in § 11 eindeutig an die Gehorsamspflicht. Die Soldaten haben damit eben keine Möglichkeit, frei zu entscheiden, ob sie einen Einsatz, einen Auftrag annehmen oder nicht, sie müssen. Und das Soldatengesetz kennt nur ganz wenige Ausnahmen, wo nicht gehorcht zu werden braucht oder nicht gehorcht werden darf. Diese Einschränkung der Gehorsamspflicht ist nicht zuletzt aus den Erfahrungen der NS-Zeit erwachsen und ist berechtigt. Die Pflicht zum Gehorsam macht übrigens keinen Unterschied zwischen den Dienstgraden; sie gilt vom Gefreiten bis hin zum 4-Sterne-General und Admiral“.

Es müsse der Öffentlichkeit auch bewusst sein, dass die Außen- und Sicherheitspolitik für unser Land nicht im BMVg gemacht wird, sondern zunächst eine Verantwortung des AA, aber letztlich eine des gesamten Kabinetts sei, an dessen Spitze der Regierungschef bzw. die Regierungschefin steht. Es dürfe auch nicht vergessen werden, dass eine ganz wesentliche Stellgröße für den Rahmen, in dem sich die Bundeswehr zu bewegen hat, die finanzielle Ausstattung ist, und diese würde letztlich durch das Parlament festgelegt. Die unverändert andauernde Debatte um das Erreichen des 2%-Ziels als Beitrag zur NATO, die nach seinem Gefühl eher an Härte zugenommen habe, sei ein beredtes Beispiel für jahrelange Unterlassungen. „Ein letztes in diesem Zusammenhang:  Es ist schon erstaunlich, dass geraden von manchen derjenigen, die nach 1990 lautstark die sog. Friedensdividende eingefordert haben, in der offensichtlich irrigen Annahme, Deutschland sei auf immer und ewig nur von Verbündeten und Freunden umgeben, heute ebenso lautstark Klage darüber führen, dass die Bundeswehr über die Jahre in  einem Umfang nach Personal und Material reduziert wurde, der gelegentlich Zweifel darüber aufkommen lassen könne, ob die Bundeswehr in einem Spektrum möglicher Einsätze noch würde standhalten können“.

Abschließend griff Fritz einen letzten Aspekt auf, der tief in die Problematik soldatischer Ethik hineinreicht: Soldaten sind nicht nur verpflichtet, Leben und Gesundheit in Erfüllung des Auftrages einzusetzen, sondern es kann unausweichlich sein, dabei Gegner willentlich oder unwissentlich zu töten. Dieses ethisch-moralisches Dilemma sei den Soldaten durchaus bewusst und viele trügen nicht leicht daran. Das Bild vom schießwütigen Rambo, das von Kreisen gern propagiert wird, die der Bundeswehr grundsätzlich ablehnend gegenüberstünden, sei genauso falsch und ehrabschneidend wie das in den 80er Jahren u.a. von der Friedensbewegung angeführte Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“ von 1931. Die sich seinerzeit daran anschließende Diskussion endete mit der bekannten Entscheidung des BVG zugunsten der Meinungsfreiheit. „Viele von uns – so auch ich als junger Kp-Chef – wandten sich deshalb an den Bundespräsidenten, weil das Urteil – zumindest für mich – nicht nachvollziehbar war. Das Urteil des BVG wurde meines Wissens allerdings nie revidiert“.

Wie schwer die Tatsache, getötet zu haben, auf dem Gewissen junger Soldaten lasten kann, zeige noch einmal ein Beispiel, das er in Afghanistan erlebt habe:

„Es war wiederum ein Besuch im Feldlazarett. Der von mir Besuchte war ein junger deutscher Scharfschütze, der eine Splitterverletzung am Bein hatte; sein Bein konnte gerettet werden und er wurde auf die Rückverlegung in die Heimat vorbereitet. Dieser junge Soldat sagte in unserem Gespräch sinngemäß zu mir: ‚ich habe diesmal Glück gehabt, ich lebe noch, mein Bein bleibt dran und ich komme nach Hause. Aber wenn ich einmal alt bin und sterben muss, dann werden Menschen um mein Bett stehen, die sehe nur ich‘. Ganz ohne Zweifel meinte er die, die durch seine Hand den Tod gefunden hatten“.

Er habe den Eindruck, dass die Tatsache, dass Soldaten zur Erfüllung ihres Auftrages töten müssen, in unserer Gesellschaft unverändert ein Tabu sei, über das man am liebsten gar nicht oder bestenfalls hinter vorgehaltener Hand spreche. Dass sich diese Soldaten in dieser existentiellen Frage alleingelassen fühlen, dürfe niemanden verwundern. Um so mehr sei vor diesem Hintergrund der Militärseelsorge, aber auch den anderen Beteiligten der sog. Psycho-sozialen Netzwerke zu danken, die den Soldaten in ihrer Gewissensnot und den daraus resultierenden Problemen beistünden.

Zusammenfassend führte Fritz aus:

  1. „Auf die Moral und Motivation von unseren Soldaten wirken neben einer Reihe von internen auch externe Stellgrüßen ein. Freundliches Desinteresse in der Bevölkerung gegenüber dem was unsere Soldaten im Interesse und im Auftrag unserer Bevölkerung in den Einsätzen tun müssen, ist ein Motivationskiller erster Güte.
  2. Es ist eine Pflicht, in erster Linie der Politik, in die Öffentlichkeit zu projizieren, warum Soldaten in Einsätze geschickt werden; es kann nicht die Aufgabe der Soldaten sein, in der Öffentlichkeit zu begründen, warum sie in den Einsätzen sind.
  3. Geübte Kameradschaft ist nicht nur eine soldatische Grundpflicht, sondern einer der entscheidenden Faktoren zum Bestehen im Gefecht. Sie bestimmt ganz wesentlich den Zusammenhalt in der kleinen Gruppe.
  4. In der Vorbereitung auf den Kampf muss dem Soldaten so klar und eindeutig wie möglich vor Augen geführt werden, wofür sie eigentlich kämpfen.
  5. Soldaten, die öffentlichen Rückhalt erfahren, die gut ausgebildet, ausgerüstet und geführt sind, sind zu Leistungen befähigt, die höchsten Respekt verdienen. Zu Recht werden die besonders ausgezeichnet, die in besonderer Weise Tapferkeit im Gefecht gezeigt haben.
  6. Die Öffentlichkeit muss ein Grundverständnis entwickeln, dass zum Schutz der essentiellen Interessen unseres Landes als äußerstes, aber nicht als letztes Mittel der Politik auch Militär eingesetzt werden kann. Die den Soldaten dabei erteilten Aufträge können beinhalten, dass Soldaten zur Erfüllung auch gezwungen sein können, Menschen zu töten. Ein ethisch-moralisches Dilemma, in dem man sie nicht allein lassen sollte“.

Die ausführliche und lebhafte Diskussion, die auf den Vortrag folgte, machte deutlich, welch breites Spektrum an Fragen und Antworten durch das Thema des Vortrags aufgeworfen wurde.

So wurde thematisiert, wie die Ausbildung der Soldaten ausgerichtet werden müsse im Spannungsfeld zwischen dem Staatbürger in Uniform, der weiß wofür er dient und notfalls auch kämpft (sozusagen konstitutiv für die Bundeswehr) und dem Soldaten im Gefecht, der weiß, wofür er kämpft – eigentlich beinahe unabhängig (vgl. Sören Neitzel, Deutsche Krieger) vom politischen System, weil ganz andere Kriterien im Gefecht wirkten.

Dazu führte Fritz aus: „Am besten, indem wir denen, die noch nicht in Einsätzen waren, reinen Wein einschenken, was auf sie zukommen kann. Ich sehe das im Übrigen nicht als Gegensatz zu den Prinzipien der Inneren Führung. Ich kann nur unterstreichen, dass das Wissen darum, dass sie ihren Auftrag im Interesse unseres Landes ausführen, einen positiven Effekt hat. Anders als im dritten Reich können unsere Soldaten haute davon ausgehen, dass ein Einsatz nach allen rechtlichen Normen, auch den völkerrechtlichen erfolgt. Im Einsatz zählt aber insbesondere das, was auch im Grundbetrieb schon wichtig war: gute Ausbildung, gute Ausrüstung, Kameradschaft, gute Führung“

In einem weiteren Beitrag wurde darauf verwiesen, wie wir in die Einsätze „geschlittert“ seien; abgesehen vielleicht vom Balkan, seien die großen Einsätze ja nicht erfolgreich gewesen, Somalia, Afghanistan, auch Mali gehörten dazu. „Wir sind den US bzw. VN in Einsätze gefolgt, deren Planung von Anfang an fehlerhaft war, die gar nicht erfolgreich sein konnten, die wir ja auch im Grundansatz nicht mitgestaltet haben“; daraus sei eine stärkere Rückkopplung an die Politik zu fordern bei der Frage ‚wofür wir kämpfen‘, so dass ein Einsatz auch erfolgreich zu Ende geführt werden könne.

Dazu führte Fritz aus, dass wir uns am Beispiel Afghanistan nicht annähernd darüber im Klaren gewesen seien, worauf wir uns einließen: eine Gesellschaft, in Teilen archaisch, mit riesigem Kontrast zwischen wenigen Großstädten und dem weiten Land. Da dürfe man nicht hoffen, dass die Westminster-Demokratie mit großem Beifall übernommen würde, dass die jungen Mädchen sich freuten, ihr Haar offen zu tragen oder ihre Burka abzulegen. Hinzu käme, dass die Probleme, die uns bei solchen Einsätzen begegneten, z.T. historisch immens tiefe Wurzeln hätten, diese Probleme seien nicht in paar Monaten oder Jahren zu lösen. Mit anderen Worten: „wir müssen zu Anfang uns klarmachen, wo wir hingehen, eine gute Lagebeurteilung vornehmen und wie danach der Auftrag an die Soldaten aussehen soll. Wir wissen aber auch aus dem politischen Geschäft, dass es manchmal sehr, sehr schnell geht, bis ein Einsatz beschlossen wird…“

Eine weitere Wortmeldung thematisierte die zunehmend hybriden Szenarien und den damit verbundenen psychologischen Aspekt: wie sollten sich Soldaten darauf einstellen, welche Auswirkungen hat das für die Führung von Soldaten, die Resilienz, Moral, und gibt es Erkenntnisse aus der traditionellen Kriegführung hinsichtlich dieser unterschwelligen Art?

In seiner Antwort wies Fritz auf die inzwischen erfreulich hohen Bildungsabschlüsse bei unseren Soldaten hin; wir müssten mit ihnen reden, um Desinformation entgegen zu wirken. Wir hätten in Afghanistan und auch Somalia erlebt, dass über Handys Desinformation verbreitet wird von unseren Gegnern (Taliban, Boko Haram, etc.). Die Entwicklung verlangt, in zwei Richtungen zu schauen: was heißt das für unsere Soldaten, und was heißt das für sie im Umgang mit der Bevölkerung, mit der wir ja keinen Krieg führen wollen? –  ein vielschichtiges Problem und ein zunehmend bedeutsamerer Punkt. „Das Prinzip (Psychologische Kriegsführung) ist sehr alt, die Mittel sind heute andere“.

In einem weiteren Beitrag wurde der häufige Strategiewechsel in Afghanistan beklagt und die Frage gestellt, „wie vermitteln wir unserer Politik, dass wir eine Langzeitstrategie brauchen, die nicht tagespolitikabhängig sein kann? Und schließlich: welchen Sinn hat für unsere Streitkräfte Afghanistan gehabt? Mit Sicherheit nicht die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland am Hindukusch!“

In seiner Antwort wies Fritz auf die Probleme der „Koalitionskriegführung“ hin; daher sei die Strategiefrage niemals rein national zu beantworten. Naturgemäß seien die USA in Afghanistan dominierend gewesen, was deren Leistungen und Opfer angehe, sei er nicht sicher, ob unsere Gesellschaft auch nur annähernd das hätte leisten wollen/können. Zur Koalitionskriegführung: man sollte sich vorher darüber im Klaren sein, was man in Gremien will, in denen das Vorgehen beraten wird. Bei Afghanistan und auch Mali müsse man während des Einsatzes eine militärische Lagebeurteilung machen, um zu beantworten, was von den Ausgangspunkten geblieben sei. „Man muss sich zu Anfang halbwegs darüber im Klaren sein, worauf man sich einlässt, – das haben wir nicht“. Ähnlich sei es in Mali- dort seien wir hauptsächlich wegen der Unterstützung Frankreichs. In dem Zusammenhange wies er auf französische Interessen wegen der Uran-Vorkommen in Algerien, Mali, Niger hin, und: „wir sind mitgegangen“. Daneben gebe es auch noch andere Gründe, z.B. in der Flüchtlingspolitik. Wichtig sei daher: „nationale Ziele setzen, um sie in eine Koalition einzubringen, vernünftige Lagebeurteilung in vernünftigen Abständen, zusehen, dass man halbwegs versteht, über welche Probleme wir reden“.

In einer weiteren Frage wurde thematisiert, ob es Unterschiede gäbe im internationalen Vergleich bei der Antwort auf die Frage ‚wofür wir kämpfen?‘

Dazu führte Fritz aus, dass die Motivation für z.B. Amerikaner gleichermaßen gelte, „aber was Amerikaner von zu Hause an Rückenwind mitbekommen, ist entscheidend anders“ und erläuterte das an einem Beispiel, bei dem ein anonymer Gast im Restaurant bezahlt für Soldaten in Uniform – als Dank für den Einsatz für das eigene Land. Ansonsten habe er loyale Soldaten (US-Amerikaner, Skandinavier) im Einsatz erlebt, mit vergleichbarer Motivation, ähnlich wie von Sören Neitzel beschrieben, die im Übrigen auch nicht dem „Rambo-Image“ entsprochen hätten, das gerne kolportiert wird.

Noch einmal wurde das „Freundliches Desinteresse“ thematisiert und dass es gut wäre, wenn wenigstens das vorhanden wäre. Vielmehr herrsche Ahnungslosigkeit, selbst bei gesellschaftlich Interessierten, es gäbe eine große Lücke zwischen medial Interessierten und der “normalen“ Bevölkerung: „was kann man konkret tun zur Lageverbesserung“?

In seiner Antwort bezeichnet Fritz das höfliche Desinteresse eher als Untertreibung. Die andere Interessenlage der Bevölkerung sei gerade jetzt in gewissem Umfang nachvollziehbar, aber das Phänomen sei alt; der Trend bei den Medien, die Streitkräfte zu ignorieren oder ohne Objektivität zu begleiten, sei ein Dilemma und Problem.   Aber er habe auch andere kennen gelernt, die sich wirklich bemüht hätten, halbwegs objektiv zu berichten. Die Frage sei jetzt: welche Medien wirken auf die jüngere Generation ein, welche Kenntnisse sind vorhanden? Was in Schulen über Strukturen und an Grundkenntnissen etc. vermittelt würde, sei unzureichend, eigentlich ein Drama, wie zu Anfang am Beispiel der Studierenden erläutert.

Ein weiterer Beitrag beschäftigte sich mit dem Diensteid und der Frage der autonomen Waffensysteme (u.a. bewaffnete Drohnen) und der Einstellung der Soldaten dazu (Joystick -Problematik)

In seiner Antwort berichtet Fritz von einer Anhörung im Bundestag zu diesem Problem und der Frage, was macht das mit Soldaten? Im gewissen Sinn hätten wir schon lange „autonome“ Systeme (u.a. Raketen an Flugzeugen, auch andere, alles nicht ganz neu), wichtig sei aber das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des Einsatzes und die Rechtmäßigkeit der Zielzuweisung. An einem Beispiel aus Afghanistan schildert er, dass die Entscheidung nicht leichtfertig getroffen wird und dass Drohnen dort eingesetzt werden können, wo man präzise sein muss, um z.B. keine Dörfer zu gefährden,

Darüber hinaus plädierte er für bewaffnete Drohnen, solange sie von Menschen als Entscheider eingesetzt werden.

In einer Stellungnahme zu diesem Punkt führte der Präsident der CG e.V., GL a.D. Jacobson aus: Drohnen seien Waffensysteme und als solche neutrale Elemente. Entscheidend sei, wer am Auslöseknopf sitzt.  Anders als Kanonen seien Drohnen steuerungsfähig bis zur letzten Sekunde. In Verruf seien sie dadurch gekommen, dass Entscheider bei Partnern keine Kombattanten waren (sondern Geheimdienste). Die Bundeswehr brauche sich nicht vorzuwerfen, dass sie irrational oder disproportional gehandelt hätte. Die emotionale Diskussion über die Ethik der Waffeneinsätze an der Drohne festzumachen, sei grundverkehrt.

GL a.D. Fritz schloss mit den Worten: „Mein Thema war ja Motivation und Moral. Die Schlüsselfrage bei Waffeneinsätzen ist Vertrauen: kann ich dem Vertrauen, der mir ein Ziel zuweist? Das Grundvertrauen muss da sein. Auch bei Allianzen“.