Taiwan als Gegenentwurf zur VR China – RK Nord am 27.02.2024

Am 27. Februar 2024 fand in Hamburg die zweite Vortragsveranstaltung des Regionalkreises Nord der Clausewitz-Gesellschaft e.V. dieses Jahres statt. Frau Dr. Stanzel trug zum Thema vor:

Taiwan als Gegenentwurf zur VR China“.

Im letzten November hatte Frau Professor Tomforde von der Führungsakademie der Bundeswehr unter dem Titel „Die Taiwan-Frage im Mächteringen zwischen der Volksrepublik China und den USA“ v.a. die außenpolitischen Aspekte und das geopolitische Umfeld im indopazifischen Raum beleuchtet. Jetzt sollte der Schwerpunkt auf den innenpolitischen Aspekten der Republik Taiwan und deren Beziehungen zur VR China liegen. Wer wäre berufener, zu diesem Thema vorzutragen, als Frau Dr. Angela Stanzel von der ‚Forschungsgruppe Asien‘ der ‚Stiftung Wissenschaft und Politik‘ aus Berlin. Der Saal  war wieder voll besetzt, darunter erfreulich viele jüngere Offiziere.

Die Insel Taiwan gehörte erst seit 1683 zum chinesischen Kaiserreich, bevor sie 1895 japanische Kolonie wurde. Unter japanischer Herrschaft, das Taiwan zur „Musterkolonie“ ausbaute, begann ein zügiger wirtschaftlicher Aufschwung, der mit der anhaltenden Rückständigkeit des chinesischen Festlandes kontrastierte. Die anfängliche Freude der Inselbewohner über die Wiedervereinigung mit China 1945 wich rasch Ernüchterung, als sie die chinesische Herrschaft als hochgradig korrupte rückständige Diktatur erlebten.

1947 kam es deshalb sogar zu einem Volksaufstand auf der Insel, der brutal niedergeschlagen wurde. Nach der Niederlage der Kuomintang im chinesischen Bürgerkrieg 1949 flüchteten etwa 1,5 Millionen deren Anhänger nach Taiwan, wo Chiang Kai-Shek die „Republik China“ etablierte, eine Diktatur mit bis 1987 fortdauerndem Kriegsrecht. Unter den Geflüchteten befanden sich zahlreiche Angehörige der ehemaligen Elite des alten Chinas. Diese waren ein entscheidender Faktor bei der Fortsetzung des rasanten Aufstiegs Taiwans vom Agrarland zum modernen Industriestaat. Dazu trug auch ein gezielter Ausbau des Bildungssystems bei.

Seit gut dreißig Jahren leben die 23 Millionen Taiwaner in einer stabilen und gefestigten pluralistischen Demokratie mit allen bürgerlichen Freiheiten, vergleichbar mit Japan oder der Schweiz. Diese Errungenschaften wollen sie sich erhalten.

Zudem hat sich der kleine Inselstaat Taiwan zu einer weltwirtschaftlichen Großmacht – gerade auf dem Gebiet der Hochtechnologie – mit intensiven Handelsbeziehungen zu den USA und Europa entwickelt. Darüberhinaus ist Taiwan zum weltweit führenden Herstellen von Halbleitern geworden; damit sind sowohl die USA als auch Europa wirtschaftlich unmittelbar von Taiwan abhängig. Zudem liegt die Insel Taiwan in einem der weltwirtschaftlich bedeutendsten Handelswege.

Mit großer Sorge betrachten die Taiwaner die Entwicklung in Hongkong: Dort hatten die britischen Kolonialherren erst kurz vor der Übergabe der Kronkolonie an die VR China 1997 begonnen, demokratische Institutionen aufzubauen. Seit 1997 ist Hongkong eine chinesische Sonderverwaltungszone unter Beibehaltung einer freien Marktwirtschaft und für 50 Jahre zugesagter innerer Autonomie einschließlich Meinungsfreiheit, entsprechend dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“. Spätestens seit 2014 allerdings bricht die VR China ihre Autonomie-Zusage zunehmend und schränkt die Freiheiten der Hongkonger Bevölkerung immer weiter ein. 

Taiwan ist seit 30 Jahren eine gefestigte liberale Demokratie. Damit ist Taiwan ein Gegenentwurf zur autokratischen VR China unter Xi Jinping. Die in diesem Jahr abgehaltenen Präsidentenwahlen in Taiwan deuten darauf hin, daß sich die Mehrheit der Bevölkerung mittlerweile als Taiwaner identifiziert, weniger als Chinesen. Deshalb würde eine durch die VR China angestrebte „Wiedervereinigung“ vermutlich von einer Mehrheit des taiwanischen Volkes als Fremdherrschaft gesehen werden.

Frau Stanzel trug ohne Folien vor und erläuterte die komplexen Wechselwirkungen von Innen- und Außenpolitik, wirtschaftlicher und geopolitischer Bedeutung Taiwans. So verdeutlichte sie die Ausgangsthese von Taiwan als Gegenentwurf zur VR China souverän.

Die anschließende Diskussion war ausgedehnt und lebhaft. Einer der dabei intensiv diskutierten Fragen war die des völkerrechtlichen Status von Taiwan. Völkerrechtlich besteht seit 1971 weltweiter Konsens: Es gibt nur ein China und Taiwan ist Teil davon. Daher sitzt die VR China in der VN, während Taiwan völkerrechtlich seitdem nicht mehr anerkannt ist. So unterhält auch Deutschland keine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan, betrachtet Taiwan aber als Wertepartner und betreibt  das „Deutsche Institut Taipeh“ als Auslandsvertretung. Taiwan betreibt in Deutschland ein „Taipeh-Büro“.

Die Volksrepublik China erhebt Anspruch auf die demokratische Inselrepublik Taiwan, und die Staats- und Parteiführung, allen voran Xi Jingpin, betrachtet den Anschluss Taiwans, den sie als „Wiedervereinigung“ bezeichnet, als Teil des „Chinesischen Traums“ und die Erfüllung der „Ein-China-Politik“. Aber seit Jahren stimmt bei allen Befragungen eine große Mehrheit der taiwanischen Bevölkerung dafür, den derzeitigen Status Quo unbefristet beizubehalten. Nur eine sehr kleine Minderheit stimmt dem baldigen Anschluss an die VR China zu.

Es bestand Konsens unter den Zuhörern, daß die Rechte der Taiwaner gewahrt werden müssen und daß der taiwanische Mehrheitswillen zu respektieren ist. Unter allen völkerrechtlichen und geopolitischen Aspekten ist es vermutlich das derzeit mögliche Optimum, den derzeitigen Status Quo Taiwans möglichst dauerhaft beizubehalten. 

Nach der langen lebhaften Diskussion klang der Abend beim gemeinsamen Abendessen vom Buffet und anschließenden Gesprächen in lockerer Runde aus.

 

Dr. Hans-Peter Diller
Oberstarzt a.D. und Leiter Regionalkreis Nord

Bild: Quelle StBtsm d.R. Tiburski, Clausewitz-Gesellschaft e.V.