“Nachwuchslage und Personalgewinnung in der Bundeswehr” – RK Nord am 14.03.2023

GA Dr. Bartoschek
GA Dr. Bartoschek

Am 14. März 2023 fand in Hamburg die dritte Veranstaltung des Regionalkreises Nord der Clausewitz-Gesellschaft e.V. dieses Jahres statt. Generalarzt Dr. med. Lale Bartoschek, Abteilungsleiterin II im Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr, trug zum Thema vor:

„Nachwuchslage und Personalgewinnung in der Bundeswehr“

Generalarzt Dr. Bartoschek ist seit anderthalb Jahren die für Personalgewinnung und Berufsförderung zuständige Abteilungsleiterin. Jahrgang 1975, durchlief sie nach der Generalstabsausbildung u.a. Verwendungen in 3 unterschiedlichen Abteilungen des BMVg: Führungsstab des Sanitätsdienstes, Planung und Personal. Sie war Chefin und Kommandeurin und nahm an 3 Auslandseinsätzen teil. Mit diesem weiten Horizont führte sie die 60 Gäste an diesem Abend durch die aktuellen Rahmenbedingungen, derzeitigen Entwicklungen und künftigen Möglichkeiten der Personalgewinnung der Bundeswehr. Unter den Gästen waren erstmals auch mehr als 20 Lehrgangsteilnehmende der LGAN, eine sehr erfreuliche Entwicklung.

Die demographische Entwicklung ist eindeutig: Die Altersgruppe der 15- bis 24jährigen ist auf etwa 10% der Gesamtbevölkerung geschrumpft, ähnlich übrigens wie in Polen oder Rumänien. Dementsprechend sinken die Schulabgängerzahlen. Auf dem deutschen Arbeitsmarkt herrscht ein sich verschärfender Fach- und Arbeitskräftemangel; viele zivile Ausbildungsplätze sind nicht besetzbar. Darüberhinaus haben viele junge Menschen gar keine Vorstellung mehr von einem Dienst in den Streitkräften oder einer zivilen Laufbahn in der Bundeswehr. All dies erschwert derzeit eine vollumfängliche Personalbedarfsdeckung der Bundeswehr. Verteidigungsminister Pistorius sagte im Februar dieses Jahres in Eckernförde öffentlich, er wolle die Planung für einen Aufwuchs auf rund 200.000 Soldaten “erstmal nicht” infrage stellen.

Angesichts dieser Lage setzt die Personalgewinnung der Bundeswehr in den letzten Jahren darauf, die Bundeswehr vor Ort erlebbar zu machen – Stichwort “Look and feel” – und möglichst bundesweit präsent zu sein. Das bedeutet: passgenaue Zielgruppenansprache vor Ort, kurze Wege der Interessierten zu Ansprechstellen, Verbesserung von Karriereberatung sowie Beschleunigung von Eignungsfeststellung und Einplanung. Hier wurden bereits erhebliche Fortschritte erreicht; weitere Verbesserungen laufen derzeit an. Dabei werden keine Qualitätsstandards gesenkt, sondern interne Prozesse optimiert, Beratungspersonal weiter geschult, und Interessierte bis zum Dienstantritt durch Serviceteams konsequent begleitet. So gelang es im letzten Jahr, trotz rückläufiger Bewerbungszahlen das beste Jahresendergebnis der letzten drei Jahre zu erreichen.

Aber: Junge Bewerber wollen nach ihrer Entscheidung für die Bundeswehr dann auch möglichst umgehend oder ihren Wünschen entsprechend eingestellt werden; dauert die Wartezeit bis zur Einstellung zu lange, ziehen sie ihre Bewerbung zurück und orientieren sich im Rahmen der vielfältigen Möglichkeiten und Angebote auf dem Arbeitsmarkt anders. Andererseits stellt es die Militärischen Organisationsbereiche vor erhebliche Herausforderungen, monatlich Grundausbildung anzubieten. Hier setzt ein Pilotprojekt “Trennung von Dienstantritt und Grundausbildung” an, das für die Zuhörer wirklich neu war. Idee ist, den Dienstantritt nicht zu den vorgegebenen Terminen in den Grundausbildungseinheiten, sondern zum Wunschtermin in der Stammeinheit durchzuführen.

In diesen ersten Wochen in der Stammeinheit vor Beginn der Grundausbildung soll ein gezieltes “Onboarding erfolgen: Heranführen an den militärischen Alltag, Kennenlernens des zukünftigen Tätigkeitsfelds, der Vorgesetzten und Kameraden, besonders aber auch eine intensive Steigerung der körperlichen Fitness. So soll frühzeitig Bindung an die Stammeinheit, Vertrauen und Verhaltenssicherheit geschaffen werden. Ziel ist ein zielgruppengerechter und den Erwartungen entsprechender Einstieg, auch, um den Erfolg in der Grundausbildung zu sichern und Verluste durch frühzeitigen Abbruch zu minimieren.

Diese Abbrecherzahlen werden regelmäßig evaluiert. Es handelt sich nicht um ein Bundeswehr-spezifisches Phänomen, aber es lohnt sich, in diesem Bereich in frühzeitige Personalbindung zu investieren.

Hier können allerdings nur die Vorgesetzten vor Ort ansetzen. Das Kümmern um unseren Nachwuchs ist eine wesentliche Aufgabe der Vorgesetzten gerade auf Ebene der Einheit: ausbilden und erziehen, aber eben auch betreuen und beraten. Allen ist bewusst, was dies angesichts der immer weiter steigenden sonstigen Auftragsflut von diesen Vorgesetzten fordert; angesichts der überragenden Bedeutung der Nachwuchsbindung kann die Lösung aber nur in der zwingenden Entlastung der Vorgesetzten an anderer Stelle liegen.

Eine andere Möglichkeit der Personalgewinnung wäre die Einstellung von Bewerbern ohne deutsche Staatsangehörigkeit und Verleihung der Staatsbürgerschaft am Ende einer mehrjährigen Verpflichtungszeit, wie es z.B. Kanada und Belgien anbieten. Dafür fehlen jedoch derzeit die politischen und damit auch die gesetzlichen Voraussetzungen.

Eine Bevorzugung (Bonus) von aktiven Soldaten wie z.B. den FWDL bei der Auswahl für höherwertige Laufbahnen scheitert an der ständigen Rechtsprechung höchster Gerichte, so daß hier nur eine möglichst gute Vorbereitung in der Truppe auf das Assessment als Option bleibt.

Generalarzt Dr. Bartoschek verstand es souverän, diese komplexe Materie mit ihren vielfältigen wechselseitigen Abhängigkeiten verständlich und nachvollziehbar zu vermitteln. Dabei wich sie keiner Frage aus und antwortete mit der gebotenen Offenheit, überaus engagiert, und erkennbar im Bewusstsein um die Auswirkung von Entscheidungen bis hinunter auf die untersten Führungsebenen.

Nach der ausführlichen Diskussion endete der offizielle Teil des Abends mit dem  gemeinsamen Abendessen vom Buffet und dem Dank an die Mitarbeiter der Geschäftsstelle und der Betreuungsgesellschaft für eine hervorragende Organisation und Bewirtung. Anschließend diskutierten vor allem Lehrgangsteilnehmende mit der Referentin noch lange kameradschaftlich, höchst engagiert und offen.

Dr. Hans-Peter Diller
Oberstarzt a.D. und Leiter Regionalkreis Nord

Bild: Quelle StBtsm d.R. Tiburski, Clausewitz-Gesellschaft e.V.