Besprechung des Buches von Johann Christoph Allmayer-Beck “Herr Oberleitnant, det lohnt doch nicht! Kriegserinnerungen aus dem Jahre 1938 bis 1945”

Beitrag von Generalmajor a.D. Millotat:

Literatur und Filme, die sich in Deutschland mit dem Zweiten Weltkrieg befassen, stülpen gerne die Glocke heutigen Wissens über die gesamte Wehrmacht: Den Judenmord, den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion sowie von deutschen Soldaten, Einsatzgruppen der SS, Polizeiangehörigen und NS – Funktionären begangene Kriegsverbrechen. Ihre Angehörigen werden dann pauschal nach allen diesen Facetten bewertet. Das war das Leitmotiv der Wehrmachtausstellung, und das ist in jüngster Zeit in dem im Fernsehen gezeigten dreiteiligen Film „Unsere Mütter, unsere Väter“ wiederum deutlich geworden.

Seine Regisseure haben alle Formen begangener Kriegsverbrechen der Deutschen zusammengemengt. Vertreter dieser Gruppe stellen sich auf den Standpunkt, jeder Soldat, wo immer er eingesetzt war, hätte diese Verbrechen erkennen und heroisch gegen sie einschreiten oder zumindest Fahnenflucht begehen müssen. Mit Teilnehmern am Zweiten Weltkrieg zu sprechen, ihre individuellen Erfahrungen zu erforschen ohne Verbrechen kleinreden oder entschuldigen zu wollen, ist versäumt worden. In Deutschland sind das Verstehen blockierende Barrieren aus vielerlei Gründen entstanden. Sie beeinflussen bis auf den heutigen Tag die Frage nach der Traditionswürdigkeit herausragender Wehrmachtsoldaten. Der Doyen der österreichischen Militärhistoriker, Johann Christoph Allmayer – Beck, blättert im 95. Lebensjahr in seinem Buch seine Erlebnisse und Prägungen als Berufsoffizier der Wehrmacht auf: Als 1938 aus der Österreichischen Bundesarmee nach dem „Anschluss“ als Oberfähnrich der Artillerie in die Wehrmacht übernommener Soldat, als Teilnehmer am Polen- und Westfeldzug und am Krieg gegen die Sowjetunion in den Verwendungen als Batterieoffizier, Abteilungs- und Regimentsadjutant, Batteriechef und Ordonnanzoffizier im Stab der 21. Infanterie Division sowie der 10. Panzergrenadierdivision und als sechsundzwanzigjähriger Hauptmann als Lehrgangsteilnehmer am letzten dreimonatigen 16. Generalstabslehrgang des Heeres, der nicht mehr zu Ende geführt werden konnte und dessen Teilnehmer in Kriegsgefangenschaft gerieten. So ist er nicht mehr Generalstabsoffizier geworden, was er sich zum Berufsziel als aktiver Offizier gesetzt hatte. Im Nachwort seines Buches führt der Autor – vielen der heutigen Interpreten des Zweiten Weltkrieges entgegenstehend – aus, in der Heimat und in der Etappe hätte man über die Verbrechen im Kriege eben mehr gewusst als vorn in den Kampf – und Gefechtsständen. Dort habe man als Nachrichtenquellen nur den offiziellen Rundfunk, Frontzeitungen und zensierte Feldpost gehabt. Von den Verbrechen der Einsatzgruppen der SS und der Nazifunktionäre habe man an der Front nur gerüchteweise und in abgemilderter Form gehört. Er habe nach dem Krieg Geschichte studiert, weil er erkannt habe, dass er derart belogen worden sei und nun wissen wolle, wie es wirklich war. Das Geschichtsstudium sollte ihm die einem jungen Frontoffizier verborgenen höheren Ebenen der Kriegsführung erschließen, über die heutige Interpreten des damaligen Geschehens vollständig zu verfügen glauben. Sie setzen ihr Wissen als moralische Keule ein.

Das Offizierkorps des Heeres, in das Allmayer – Beck übernommen wurde, war von 1933 bis 1939 von 4.000 auf 89.073 angewachsen. Die Offizierausbildung wurde von vier auf zwei Jahre verkürzt, die Zahl der Offizierbewerber ständig erhöht. 400 Unteroffiziere wurden Offizier, etwa 2.500 Offiziere der kasernierten Polizei übernommen; ebenfalls 800 bereits pensionierte Offiziere und 6.000 sogenannte Ergänzungsoffiziere, die nach dem Ersten Weltkrieg hatten ausscheiden müssen. 300 Assessoren, Referendaren und Rechtstudierenden wurde der Eintritt in die Offizierlaufbahn erleichtert. Die militärische Führung des Heeres und das Heerespersonalamt sorgten sich zunehmend über die schwindende soziale Homogenität des Offizierkorps. Von den 3.100 Offizieren der Österreichischen Bundesarmee wurden 1.600 in die Wehrmacht übernommen. 1.500 wurden aus politischen und „rassebiologischen“ Gründen entlassen. 92 aus dieser Gruppe dienten im Verlauf des Krieges als Generale, einer als Konteradmiral. Der Feldmarschall der k.u.k Armee, Eduard von Böhm – Ermolli, wurde charakterisierter deutscher Generalfeldmarschall. Diese Offiziere, vor allem aber die jüngeren, waren hoch willkommen. Im dreijährigen Studium an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt, ab 1936 mit einem vorausgehenden Jahr als Einjährig Freiwilliger, waren sie hervorragend ausgebildet worden. Die meisten von ihnen entstammten der sogenannten Zweiten Gesellschaft Österreichs, die dort ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die Elite des aufsteigenden, liberalen und kaisertreuen Bürgertums gebildet hatte. Sie waren eine kleine, aber homogene soziale Gruppe. Viele, wie die Familie des Autors, waren nobilitiert worden. Ende 1944 dienten im Heer 73.600 aktive und 280.000 Reserveoffiziere bei einem Fehl von 13.000. 76.614 Offiziere des Heeres sind gefallen, 107.265 wurden verwundet, 27.260 sind vermisst oder gerieten in Gefangenschaft. Trotz ununterbrochenem Fronteinsatz wurde der Autor nie schwer verwundet und überlebte den Krieg. Er führt dies auf göttliche Fügung zurück. Er fühlte sich von höherer Hand durch die Fährnisse des Krieges geleitet. Die Theresianer wurden in Standorte im ganzen Reich versetzt, die älteren beiden Jahrgänge als Leutnante, der dritte, zu dem Allmayer – Beck gehörte, als Oberfähnriche. Sie sollten sich fachlich in die moderneren und größeren deutschen Verhältnisse hineinfinden und keine österreichischen Traditionen pflegen. Der damit verbundene Anpassungsprozess ist vom Autor rasch bewältigt worden. Mit Beginn des Krieges gegen Polen war er fachlich mit seinen deutschen Kameraden auf Augenhöhe. Im Artillerie Regiment 21 in Ostpreußen, weit von Wien entfernt, wuchs er in das Offizierkorps seines Regiments hinein. Er verstand sich als deutscher Offizier. Dort herrschten bis in den Krieg hinein innere Geschlossenheit und die stark ausgeprägten Umgangsformen des Offizierkorps der früheren Reichswehr und eine scharfe Abschottung gegen Funktionäre der Nationalsozialisten. Die Gutsherren – und Adelswelt Ostpreußens nahm ihn gastlich auf. Er wuchs in diese auch für viele damalige Deutsche fremde Welt rasch hinein und lernte sie schätzen. Seine familiäre Herkunft war dabei hilfsreich. Gestützt auf Tagebuchnotizen und Briefe an die Eltern schildert der junge Offizier seine täglichen Erlebnisse im Polen – und Westfeldzug und in dem immer härter werdenden Krieg gegen die Sowjetunion. Von Zweifeln am Sinn dieses Krieges war er nicht befangen. Seinen langjährigen und fordernden Abteilungs- und Regimentskommandeur, Oberst Dr. Brechtel, beschreibt er als versierten und führungsstarken Vorgesetzten. Seinen menschlich und fachlich herausragenden Kommandeur der 21. Infanterie Division, den späteren Mitschöpfer des Bundesgrenzschutzes und nach Übertritt in die Bundeswehr Kommandierenden General des I. Korps in Münster, Generalmajor Gerhard Matzky, bewundert der Autor als Generalstabsoffizier und Truppenführer „ comme il faut“, an dem er sich orientierte. Der I a (heute Chef des Stabes) der 10. Panzergrenadierdivision, der spätere Generalinspekteur der Bundeswehr, Ulrich (nicht Karl- Ernst) de Maizière, machte ihn als Ordonnanzoffizier mit seinem differenzierten Urteil über den Attentäter des 20. Juli 1944, Oberst i.G. Claus Graf Schenk von Stauffenberg, nachdenklich: Wenn man Stauffenberg gekannt habe, so de Maizière, müsse man mit negativen Urteilen über ihn, die damals in der Truppe vorherrschten, vorsichtiger sein. Dann müsse hier etwas vorliegen, was man nicht sofort übersehen könne.

Die Schlachten und Gefechte im Zweiten Weltkrieg werden in der Literatur überwiegend aus der Perspektive des Kämpfers dargestellt, des Infanteristen, des Panzermannes, des Pioniers und des Vorgeschobenen Artilleriebeobachters. Allmeyer – Beck beschreibt wie selten ein Autor vor ihm das immer wichtiger werdende „ Feuerrückgrat“ der Artillerie für die Kampftruppe, das bei den Abwehrschlachten – und Gefechten in Russland ständig an Bedeutung gegen die überlegenen Panzer und Kampfmittel der Roten Armee gewann: Die professionell bewältigte Kombination pferdebespannter mit motorisierter Artillerie, das in der Wehrmacht ein Verhältnis von 40 zu 60 hatte. Direktes Richten der Artillerie gegen russische Panzer, spät erst mit panzerbrechender Munition. Die Einbindung der Flugabwehrtruppe der Luftwaffe in die Feuerpläne und den Feuerkampf der Artillerie, meistens zur Panzerbekämpfung.

Der Autor trägt schwer an Verlusten von Kameraden. Es ist zu hoffen, dass sein Buch dazu aufrütteln wird, die in Deutschland so fest gefügten geistigen Barrieren zu überwinden, die sich dem Verstehen der Gründe des Handelns, Irrens, von Tapferkeit, Feigheit und Leid sowie des Bewältigens von Tod und Verwundung, mit denen die Soldaten der Wehrmacht häufig neben verbrecherischen Aktionen der Staatsführung, der SS und der Organe des Hitlerregimes konfrontiert waren, nachzuvollziehen und gerechter als bisher zu würdigen. Dieser Ansatz verbietet pauschale Verurteilungen moralisierender Ideologen aus den Generationen der Nachgeborenen.

Johann Christoph Allmayer-Beck
„Herr Oberleitnant, det lohnt doch nicht!
Kriegserinnerungen aus dem Jahre 1938 bis 1945“
Böhlau Verlag, Wien 2013, Euro 39,00