General Henri Guisan, Oberbefehlshaber der Schweizer Armee während des Zweiten Weltkrieges – ein Glücksfall für das Land – RegKreis Nord am 17.06.2025

Am 17. Juni 2025 trug Dr. Sprecher vor dem RegKreis Nord und Gästen über General Henri Guisan, dem Oberbefehlshaber der Schweizer Armee im Zweiten Weltkrieg, vor. Die Veranstaltung begann aber mit einer Ehrung: Unser Präsident verlieh Konteradmiral a.D. Rudolf Lange für mehr als vierzig Jahre Mitgliedschaft in der Clausewitz-Gesellschaft e.V. die Ehrennadel in Gold. KAdm a.D. Lange trat im Januar 1984 in unsere Gesellschaft ein, war Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr von 1996 bis 2001, Vizepräsident der Clausewitz-Gesellschaft von 1996 bis 2001, und nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr Senator der Freien und Hansestadt Hamburg für Bildung, Sport und Kultur. Die Laudatio des Präsidenten und die Verleihung wurden mit großem Applaus gewürdigt.
Dr. Daniel Sprecher, geboren 1954 in Zürich, studierte an der Universität St. Gallen Staatswissenschaft und ist ein ausgewiesener schweizerischer Militärhistoriker, zudem langjähriges Mitglied der Sektion Schweiz der Clausewitz-Gesellschaft. Er schilderte Leben und Schaffen von General Guisan lebendig und frei, unterstützt lediglich durch höchst aussagekräftige Bilder.
General Henri Guisan (1874 – 1960) war die zentrale Persönlichkeit bei der Entscheidung, die schweizerische Freiheit und Neutralität auch nach der vollständigen Einschließung durch die Achsenmächte ab Juni 1940 buchstäblich um jeden Preis zu verteidigen. Diese Abschreckung war erfolgreich. Dafür wird er in der Schweiz verehrt. In Deutschland ist General Guisan hingegen kaum bekannt. Dies wollte der RegKreis Nord im Rahmen seiner Möglichkeiten ändern.
Guisan stammte aus einer mittelständischen bäuerlichen Familie aus der französischsprachigen Schweiz; sein Vater war Landarzt. Nach dem Abitur in Lausanne entschied sich Guisan gegen einen akademischen Beruf und ließ sich in der Schweiz und Deutschland zum Landwirt ausbilden. Er heiratete eine Jungendfreundin, die ein großes Vermögen in die Ehe mitbrachte, und konnte sich daher seiner Passion widmen, dem Militärdienst als Milizoffizier, d.h. als Reservist. Nach der Rekrutenschule wurde der begeisterte Reiter rasch zum Offizier befördert. Entscheidend prägte ihn seine Verwendung als Adjutant des Generalstabschefs während des I. Weltkrieges; hier erhielt er Einblicke in das Zusammenwirken und das Beziehungsgeflecht von Regierung, Oberbefehlshaber und Generalstab in Zeiten der Mobilmachung bei strikter Neutralität, während rund um die Schweiz der Weltkrieg tobte.
Erst 1926 wurde Guisan Berufsoffizier. Nacheinander führte er Divisionen und Armeekorps in den deutschen und französischsprachigen Landesteilen. Ab 1938 stand fest, dass Guisan der bei weitem aussichtsreichste Kandidat für die Wahl zum Oberbefehlshaber war, wenn die Schweiz im Falle eines Kriegsausbruchs mobilisieren würde. Für ihn sprachen seine Herkunft, seine umfassende Führungserfahrung, die Tatsache, dass er sowohl französisch als auch deutsch fließend sprach, und nicht zuletzt sein offenes zugewandtes Wesen und seine charismatische Persönlichkeit.
Am 30. August 1939 wurde er mit überwältigender Mehrheit von der Bundesversammlung zum Oberbefehlshaber der Schweizer Armee gewählt, zum “General” – einem Dienstgrad, der in der Schweiz nur bei Mobilmachung in Kriegs- und Krisenzeiten und nur nach Wahl durch die Bundesversammlung verliehen wird. 1939 mobilisierte die Schweiz etwa 700.000 Wehrmänner, annähernd 20% der Gesamtbevölkerung.
Zu Beginn des II. Weltkrieges basierte die schweizerische Strategie auf einer grenznahen Rundumverteidigung bei gleichzeitiger Anlehnung an die französischen Streitkräfte als potentiellen Verbündeten. Mit dem deutschen Blitzkrieg des Westfeldzuges im Mai 1940, der völligen französischen Niederlage im Juni 1940 und der Einschließung der Schweiz durch die siegreichen Achsenmächte war diesem Konzept die Grundlage entzogen: eine statische grenznahe Verteidigung der nun auf sich alleine gestellten Schweiz erschien angesichts der drückenden Überlegenheit der Achsenmächte und des Konzeptes des Blitzkrieges als aussichtslos.
Am 25. Juni 1940 hielt der schweizerische Bundespräsident zudem eine höchst unglücklich formulierte Rundfunkansprache an die Bevölkerung, die von vielen als voreilige Anpassung an Deutschland oder gar Unterwerfung gedeutet wurde. Dies führte zu einer allgemeinen Verunsicherung in der Bevölkerung wie in der Armee.
Angesichts dieser Lage befahl General Guisan eine völlig veränderte militärstrategische Planung: Im Falle eines Angriffs der weit überlegenen Achsenmächte Deutschland und Italien sollte der größte Teil des Staatsgebietes einschließlich der Bevölkerungs- und Industriezentren preisgegeben werden, um die Schweizer Armee im Hochalpenmassiv, dem gegen einen Blitzkrieg geschützten und mit den vorhandenen Kräften gut zu verteidigenden „Reduit“, zu konzentrieren. Zudem beherrschte dieses Reduit alle strategisch bedeutenden Schweizer Alpenübergänge. Das Konzept des “Reduits” stammte nicht von ihm, aber er griff es auf und setzte es gegen alle Widerstände konsequent durch.
Mit dem legendären Rütli-Rapport, einem Appell sämtlicher Kommandeure der Schweizer Armee vom Bataillonskommandeur an aufwärts auf der historischen Rütli-Wiese, der “Wiege der Schweizer Freiheit”, schwor General Guisan am 25. Juli 1940 persönlich die Schweizer Armee auf den “Reduit”-Gedanken und auf Widerstand und Verteidigung der schweizerischen Freiheit und Neutralität bis zum Äußersten ein. In einer Rundfunkansprache am 1. August 1940 machte er auch die schweizerische Bevölkerung mit diesen Entscheidungen vertraut.
Dabei kam General Guisan zugute, dass er eine ausgeprägt zugewandte Persönlichkeit mit großem Charme und kommunikativen Begabung war. Zudem besaß er ein klares Bewusstsein für die Bedeutung der öffentlichen Vermittlung seiner strategischen Absichten. Gezielt wandte er sich daher immer wieder auf allen Ebenen an die Öffentlichkeit und gewann so die erforderliche Unterstützung und das Vertrauen von Regierung, Armee bis hinunter zum einzelnen Soldaten, Medien und Bevölkerung – ein Musterbeispiel für das, was wir heute als erfolgreiche strategische Kommunikation (“STRATCOM”) bezeichnen.
Bezeichnend für ihn war, dass er sich dabei immer wieder gerade auch an diejenigen Teile der schweizerischen Bevölkerung wandte, die bisher bei politischen Entscheidungen weitgehend am Rande standen – Arbeiterschaft, Gewerkschaften und Sozialdemokraten. Kernbotschaft des Generals war es, jedermann, Schweizer Zivilisten wie Soldaten, Deutschen oder Alliierten, öffentlich und vertraulich, immer und immer wieder dieselbe Botschaft zu vermitteln: die unbedingte Bereitschaft der Schweiz zum Widerstand, zur Verteidigung von Freiheit und Neutralität, um buchstäblich jeden Preis!
So verschmolz im Bewusstsein der schweizerischen Bevölkerung die Persönlichkeit von General Guisan mit seinem Charme und seiner Zugewandtheit, der Reduit-Gedanke und die Entschlossenheit, schweizerische Freiheit und Neutralität bis zu Äußersten zu verteidigen. Er war im besten Sinne ein Glücksfall für sein Land. Dafür wurde und wird er in der Schweiz verehrt. Bei seinem Begräbnis 1960 in Lausanne säumten 300.000 Personen seinen letzten Weg. Noch heute tragen unzählige Straßen in der Schweiz seinen Namen.
Nach einer langen und angeregten Diskussion klang die Veranstaltung wie üblich mit einem gemeinsamen Abendessen vom Büffet und Einzelgesprächen in lockerer Runde aus.
Dr. Hans-Peter Diller
Oberstarzt a.D. und Leiter Regionalkreis Nord
Bilder: Quelle OStFw a.D. Becker, Clausewitz-Gesellschaft e.V.; Dr. Sprecher