RK WEST: Streitkräfte – ein Instrument der Innenpolitik in Preußen – Deutschland 1820 bis 1918

Streitkräfte – ein Instrument der Innenpolitik in Preußen – Deutschland 1820 bis 1918.

Bericht vom Vortragsabend Regionalkreis West am 10.08.2015 mit Oberst a.D. Dr. phil. Michael Ph. Vollert

In den meisten demokratischen Staaten ist der Einsatz des Militärs im Innern aus verschiedensten Anlässen eine legale, ganz selbstverständliche und kaum hinterfragte Gepflogenheit – in Diktaturen ohnehin.
Dagegen ist in der Bundesrepublik Deutschland in weiten Teilen der Bevölkerung und vor allem im politisch liberalen bis linken Parteienspektrum der Einsatz der Bundeswehr im Innern noch immer ein oftmals unreflektiertes Tabuthema, bei dem in der Diskussion Sachargumente oft von ideologischen Vorurteilen verdrängt werden. Eine nüchterne Betrachtung scheint hier nicht möglich zu sein, eine konsensuelle schon gar nicht.
Da das Staatsverständnis, die jeweiligen Traditionen und die Stellung der Streitkräfte viel zu unterschiedlich sind, verbietet sich ein Vergleich der Situation zwischen Deutschland und anderen demokratischen Ländern schon im engeren europäischen Raum. Letztlich ist und bleibt der Einsatz der deutschen Streitkräfte im Innern – in der Regel zur Unterstützung der Polizeikräfte –, sei es bei Naturkatastrophen oder bei Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung, immer ein gesetzlich geregelter absoluter Ausnahmefall.
Dass sich die Situation des Streitkräfteeinsatzes im Innern in der heutigen freiheitlich-demokratisch verfassten Bundesrepublik auch nicht mit der Situation der vordemokratischen deutschen Staaten nach dem Wiener Kongress und bis 1918 vergleichen lässt, zeigte sehr anschaulich der Vortrag von Oberst a.D. Dr. Vollert vor einem trotz der Urlaubszeit nicht wesentlich reduzierten Kreis interessierter Zuhörer. Dabei trug Dr. Vollert schlaglichtartig Inhalte seines 2014 erschienenen Buches „Für Ruhe und Ordnung – Einsätze des Militärs im Innern (1820 – 1918) Preußen – Westfalen – Rheinprovinz“ so vor, dass der hinter den damaligen Einsätzen stehende politische Ansatz als klare durchgehende Leitlinie erkennbar wurde.
Geht es heute primär um subsidiäre Hilfeleistung der Bundeswehr in Katastrophensituationen auf Antrag ziviler Behörden und unter deren verantwortlicher Leitung, so war es in der im Vortrag beleuchteten Zeit keine Hilfeleistung für die Bevölkerung, sondern ein – oftmals rücksichtsloser und viele Todesopfer in Kauf nehmender – Kampf gegen Teile der Bevölkerung. Mangels ausreichend vorhandener Polizeikräfte wurde das Militär eingesetzt um bei Hungerrevolten, Streiks der verarmten Arbeiterschaft in den Industriegebieten der Großstädte oder auch auf den landwirtschaftlichen Gütern im Osten und nicht zuletzt um „sozialdemokratische Umtriebe“ im Keim zu ersticken. Primäres Ziel war es, die obrigkeitsstaatliche Ordnung der damaligen Klassengesellschaft zu bewahren und die Pfründe des großbürgerlichen Establishments unangetastet zu lassen. In seinem Vortrag stellte der Referent deutlich heraus, dass diese Einsätze, bei denen allein die Militärs das Sagen hatten, in den allermeisten Fällen gesetzeskonform waren. Erst mit der Zeit des Kieler Matrosenaufstands und dem Untergang des Kaiserreichs ging diese Art militärischer Einsätze in Deutschland zu Ende. Teilweise mögen die Vorbehalte gegenüber Einsätzen der Bundeswehr im Innern, wie sie ganz besonders in der Phase der Implementierung der sog. Notstandsgesetzte 1968 zutage traten, in der Reflexion auf die Situation vor 1918 begründet gewesen sein. In einem seit mehr als 65 Jahren fest in seinen demokratischen Strukturen verwurzelten Staatswesen, sollte allerdings eine vorbehaltlose politische Diskussion der Problematik inzwischen möglich sein.
Oberst a. D. Dr. Vollert ist es gut gelungen, die alles andere als trockene Materie mit all ihren Hintergründen zu vermitteln. Wie immer schloss sich dem Vortrag eine Aussprache- und Fragerunde an.

Dr. Jürgen Blätzinger, Generaloberstabsarzt a.D.