„Strategiefähigkeit fördern und ausbauen – den vernetzten Ansatz weiterentwickeln“ – RK Nord am 14.6.2017

Im Rahmen der Vortragsreihe des Regionalkreises Nord trug Brigadegeneral a.D. Armin Staigis, Vorsitzender des Freundeskreises der Bundesakademie für Sicherheitspolitik e.V. und Mitglied des Beirats der Clausewitz-Gesellschaft e.V., vor dem Hintergrund seiner in langjährigen nationalen und internationalen Verwendungen gewonnenen Erkenntnisse, zuletzt als Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, zur Weiterentwicklung des vernetzten Ansatzes in der Sicherheitspolitik vor.

„Sicherheit im 21. Jahrhundert kann nur im Verbund aller sicherheitspolitischen Akteure und Instrumente gewährleistet werden“. Diese Feststellung im Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr, dem „obersten sicherheitspolitischen Grundlagendokument Deutschlands“ nahm Staigis zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen zur inhaltlichen und strukturellen Weiterentwicklung sowie zu den personellen Voraussetzungen des vernetzten Ansatzes auf nationaler politisch-strategischer Ebene. Denn Strategiefähigkeit in der Sicherheitspolitik erfordert vor dem Hintergrund der komplexen Bedrohungen und Risiken in Zeiten, in denen innere und äußere Sicherheit nicht mehr trennscharf voneinander abzugrenzen sind, vernetzte gesamtstaatliche Ansätze.

Die größten Defizite im vernetzten Ansatz diagnostizierte Staigis auf der politisch-strategischen Ebene. Dass trotzdem auf der operativen und taktischen Ebene vieles gelingt, begründet sich aus dem Zwang des Handelns vor Ort, wo die Verantwortlichen mit Initiative und Einsatz die Defizite der politisch-strategischen Ebene kompensieren, soweit dies möglich ist. Es gilt daher jetzt den im Weißbuch 2016 dokumentierten Gestaltungswillen konsequent umzusetzen. Aus vernetzter Rhetorik muss vernetzte Realität werden. Hierzu stellte General Staigis vier Vorschläge vor.

  1. Es bedarf der Vereinbarung von Leitlinien – eines Einvernehmens im Grundsätzlichen – zum vernetzten Ansatz, als ein wesentliches Element einer nationalen Strategiedebatte und als Voraussetzung gesamtstaatlichen Handelns. Ob die am Tage des Vortages am 14. Juni 2017 im Bundeskabinett verabschiedeten Leitlinien zu „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ das Zusammenwirken aller staatlichen Akteure – Bundestag, Bundesregierung, Bund und Länder – sowie die Einbeziehung der nichtstaatlichen Akteure tatsächlich fördern werden, muss aufmerksam beobachtet werden.
  2. Es bedarf einer Strategie für jede Krise und jeden Konflikt, in der Ziele, Instrumente und Ressourcen aufeinander abgestimmt werden, einbezogen in den multinationalen Rahmen deutscher Sicherheitspolitik. Ein „Hineinschlittern“ in Krisen muss zukünftig durch eine frühzeitige ressortübergreifende gesamtstaatliche Strategieentwicklung, die ständig fortzuschreiben ist, vermieden werden.
  3. Es bedarf einer verbesserten Führung und neuer Strukturen auf politisch-strategischer Ebene unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen und politischen Rahmenbedingungen. Das föderale System der Bundesrepublik, das Ressortprinzip, die Richtlinienkompetenz und das Kollegialprinzip des Artikel 65 GG sind unabänderlich. Aber das schließt den Ausbau der Führungs- und Koordinierungsfunktion des Bundeskanzleramts, die Stärkung des Bundessicherheitsrats, eingeübte Arbeits- und Entscheidungsstrukturen sowie ein Gemeinsames Lage- und Analysezentrum der Bundesregierung und intensivierte Dialogforen mit nichtstaatlichen Akteuren keinesfalls aus.
  4. Es bedarf eines erheblichen Ausbaus der ressortübergreifenden Aus- und Weiterbildung von Führungspersonal sowie einer umfassenden Intensivierung des Personalaustausches zwischen den Ressorts der Bundesregierung, den Ländern und, wo immer möglich, dabei auch der Einbeziehung nichtstaatlicher Institutionen. Es müssen Räume und Netzwerke geschaffen werden, um gegenseitiges Verstehen zu ermöglichen und zu stärken. Im Kern geht es um Vertrauensbildung und Empathie als Voraussetzung wirksamer vernetzter Ansätze.

Nach diesen Ausführungen entwickelte sich unter der Leitung von Oberst d.R. Ullrich Tiedt eine intensive Diskussion, die sich ganz besonders auf die letzte Forderung konzentrierte. Im personellen Bereich sind die Weichen, einerseits durch den politischen Willen und die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen, andererseits aber auch durch die Bereitschaft des Führungspersonals, Ressortdenken zu überwinden, Netzwerke zu bilden und Vertrauen zu schaffen.