„Geopolitik in Asien-Pazifik: Die Territorialstreitigkeiten im Südchinesischen Meer im Kontext der chinesisch-amerikanischen Rivalität“ – RK West am 04.09.2017

Nachdem die veränderte Sicherheitslage in und um Europa bei den Veranstaltungen des Regionalkreises West in den letzten drei Jahren im Fokus der Betrachtung stand, richtete sich der Blick nun auf die Region Ost- und Südostasien. Die zwischen den Anrainernationen des Südchinesischen Meeres umstrittenen Territorialansprüche und die sich daraus ergebenden Konflikte standen im Mittelpunkt des Vortrags von Dr. Enrico Fels vom Center for Global Studies der Universität Bonn.

Dr. Enrico Fels

In seinen sehr anschaulich vorgetragenen und mit zahlreichen Bilddokumenten und Diagrammen unterlegten Ausführungen stellte Dr. Fels zunächst die immense strategische und wirtschaftliche Bedeutung des Südchinesischen Meeres aufgrund seiner geographischen Lage und seines Ressourcenreichtum dar. Der Seeverkehr übersteigt mehrfach das Volumen des Suez- und des Panamakanals; die Öl- und Gasvorkommen könnten vergleichsweise die Nordstream-Pipeline 150 Jahre lang auslasten. China beansprucht ca. 80% des Territoriums als Erweiterte Wirtschaftszone und hat zur Untermauerung seiner Ansprüche kleine unbewohnte Eilande, Felsformationen und selbst seichte Meeresbereiche zu künstlichen Inseln mit Flugplätzen und militärischer Besatzung ausgebaut. Dieser Ausbau erfolgte in den letzten Jahren mit einem gewaltigen Aufwand und in beeindruckend kurzer Zeit, obwohl nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, dem China 1996 beigetreten ist, künstliche Inseln keine territorialen Ansprüche begründen.

Ein Schiedsspruch des von den Philippinen angerufenen internationalen Schiedsgerichts in Den Haag, in dem 2016 festgestellt wurde, dass es für die chinesischen Hoheitsansprüche keine rechtliche Grundlage gebe; wird von China nicht anerkannt. Vielmehr hat es deutlich gemacht, dass es seine Interessen in der Region im Bedarfsfall auch mit militärischen Mitteln durchsetzt. Eine gemeinsame Haltung der betroffenen Anrainerstaaten im Kontext von ASEAN ist wegen der erforderlichen Einstimmigkeit nicht zu erreichen. Vielmehr setzt China gegenüber den betroffenen Staaten im Rahmen seiner als „Incremental Assertiveness“ bezeichneten Strategie recht erfolgreich auf ökonomischen Druck bzw. Anreize, während es die Nutzung des Meeres durch eigenen Kräfte mit hoher Geschwindigkeit vorantreibt.
Dr. Fels stellte sodann den regionalen Konflikt in den größeren Rahmen der globalen geopolitischen Entwicklung, in der sich die Asien-Pazifik-Region aufgrund ihres Bevölkerungsreichtums und ihres bemerkenswert stabilen wirtschaftlichen Aufschwungs als die Zukunftsregion des 21. Jahrhunderts erweisen könnte. China ist – kaufkraftbereinigt – bereits heute die größte Wirtschaftmacht weltweit. Es hat nach seiner wirtschaftlichen Liberalisierung mit hohen Wachstumsraten zwischen 6 und 14% in den vergangenen 30 Jahren ein GDP-Wachstum von 1200 % erzielt und 650 Millionen Menschen aus der Armut befreit. Inzwischen ist es nicht nur in der Lage, High-Tech-Produkte nachzubauen, sondern ist selbst zu einer innovativen High-Tech-Nation geworden, die beispielsweise die weltweit leistungsfähigsten Superrechner betreibt.
Der wirtschaftliche Aufstieg hat auch einen erheblichen Anstieg der Rüstungsausgaben ermöglicht, die inzwischen einen höheren Anstieg aufweisen als das Wirtschaftswachstum. Dennoch war Chinas Sicherheitspolitik lange Zeit eher von Zurückhaltung geprägt, mglw. auch, weil – wie in der Aussprache angemerkt wurde – die Auffassung vorherrschte, dem „Reich der Mitte“ werde aufgrund seines Schwergewichts über kurz oder lang ohnehin vieles quasi automatisch zufallen, so dass es keiner gezielten militärischen Intervention bedürfe. Die starke Armee werde vor allem zur Kontrolle des Vielvölkerstaates mit nicht unerheblichen sozialen Unterschieden im Inneren benötigt.
Dr. Fels wies demgegenüber darauf hin, dass gerade unter dem derzeitigen Präsidenten Xi Jinping häufig vom „Chinesischen Traum“ die Rede sei, der die Wiederbelebung der chinesischen Nation beinhalte. Neben anderen Feldern zeigen sowohl die beschriebene aggressive Politik zur Durchsetzung der Ansprüche im Südchinesischen Meer als auch die mit friedlichen Mitteln betriebene „Seidenstraßeninitiative“, dass sich China über seine Grenzen hinaus als die dominierende Macht der Region, darüber hinaus aber auch globaler Player positionieren will – durchaus in strategischer Rivalität zur Supermacht USA. Die Ausgangslage dafür erscheint für China jedenfalls sehr günstig. Ob diese strategische Rivalität auch zu einem militärischen Konflikt zwischen den Supermächten führen wird, lasse sich seriös nicht beantworten.
Der Vortrag von Dr. Fels mit anschließender ausführlicher Aussprache wurde von den zahlreichen Teilnehmern als außerordentlich gewinnbringend und lehrreich empfunden. Die Veranstaltung gehörte ohne Zweifel zu den Highlights im Jahresprogramm des RK West.

Jürgen Ruwe, Generalleutnant a.D.