Die schwarze Reichswehr – RK West am 25.11.2019

Traditionell beschließt der RK West seine jährliche Veranstaltungsreihe nicht mit einem aktuellen sicherheits- oder verteidigungspolitischen, sondern mit einem eher allgemeinbildenden Thema. Zum wiederholten Mal erklärte sich Oberst a. D. Dr. phil. Michael P. Vollert bereit, in diesem Jahr ein historisches militärpolitisches Thema: „Die schwarze Reichswehr“ zu beleuchten.

Foto Oberst a. D. Dr. Vollert

Oberst a. D. Dr. Vollert

Bereits in seiner Einladung zu der Veranstaltung erinnerte der Leiter des RK West, Generalleutnant a. D. Jürgen Ruwe, daran, dass dieses fast 100 Jahre zurückliegende und weitgehend vergessene Kapitel der deutschen Militärgeschichte erst unlängst durch die mehrteilige Fernseh-Krimiserie „Babylon Berlin“, die in einigen Episoden auf das Thema rekurriert, einem Millionenpublikum näher gebracht wurde, ohne allerdings die Hintergründe zu beleuchten.

Als Historiker befasste Dr. Vollert sich näher mit der überaus vielschichtigen Thematik und den politischen Verhältnissen nach dem mit dem verlorenen Krieg einhergehenden Untergang des Kaiserreichs und den politisch turbulenten Anfangsjahren der Weimarer Republik, und es gelang ihm, dem interessierten Zuhörerkreis die kausalen Zusammenhänge der mit dem Aufwuchs der Reichswehr parallel und klandestin einhergehenden Entwicklung einer sog. schwarzen Reichswehr plausibel zu erläutern und zu bewerten.

Strebte die Reichsregierung nach der Demobilisierung des deutschen Heeres und der Kriegsmarine zunächst noch ein Friedensheer von 400.000 Soldaten und eine 20.000 Mann starke Marine an, so legte der Versailler Friedensvertrag den Umfang der Reichswehr auf 100.000 Berufssoldaten zuzüglich einer Marine von 15.000 Soldaten fest. In den Wirren der Nachkriegszeit – kasernierte Bereitschaftspolizei war damals noch unbekannt – war die Reichswehr auch für die innere Sicherheit zuständig und damit überfordert. Um die Aufgabenfülle bewältigen zu können, wurde unter Umgehung des Versailler Vertrages eine schwarze Reichswehr nicht nur toleriert, sondern teilweise auch aus Mitteln der regulären Reichswehr, aber im Osten auch von Seiten einiger Großgrundbesitzer, alimentiert. Die Existenz einer schwarzen Reichswehr wurde nach außen von der Reichswehrgeneralität und auch vom Reichswehrminister Otto Geßler geleugnet.

Diese schwarze Reichswehr war ein lockeres Konglomerat aus verschiedenen Freikorps und paramilitärischen Verbänden, die von ehemaligen Offizieren geführt wurden. Diesen Freikorps überließ die Reichsregierung dort die Landesverteidigung, wo die Kräfte der regulären Reichswehr nicht hinreichten, z.B. bei der Grenzsicherung gegen polnische und litauische Freischärler. Diese Verbände verfügten über Waffen, die nach der Kapitulation in geheimen Depots verborgen wurden.

Hatten schon die in die Reichswehr übernommenen Offiziere – noch gut 25 Prozent waren adeliger Herkunft – ein eher konservativ-monarchisches Weltbild, so fanden sich in den paramilitärischen Truppenkörpern der Freikorps überwiegend radikal national gesinnte und republikfeindliche Kräfte wieder. Demokratisch gesinnte Offiziere wurden selbst in die Reichswehr nicht übernommen. Diese war im Grund ein unpolitischer Waffenträger und entwickelte sich zu einem demokratiefernen Staat im Staat.

In den frühen 1920er Jahren wurde das Militär gegen aufständische linke Kräfte eingesetzt, z.B. im kommunistischen Märzaufstand im Ruhrgebiet und in Sachsen. Dabei wurde auch das Potential der schwarzen Reichs-wehr genutzt. Der interalliierten Militärkontrollkommission der Siegermächte des Versailler Vertrages blieben diese Aktivitäten keinesfalls verborgen, und diese drohten deshalb der Reichsregierung mehrfach mit einem Einmarsch. Es blieb aber bei verbalen Drohungen, obwohl Deutschland unverändert Vertragsverletzungen beging.

Doch nicht nur die schwarze Reichswehr verstieß gegen den Vertrag, auch die heimlichen Waffentests mit Artilleriewaffen und der notdürftig getarnte Aufbau von Fliegerkräften in der Sowjetunion unterliefen die von den Siegermächten verlangten Restriktionen. Im Grunde fungierten die Verbände der schwarzen Reichswehr als zwar verbotene, aber im Notfall verfügbare Reservekräfte und als Truppenteile zur Ausbildung und Inübungshaltung. Im modernen Sprachgebrauch der Bundeswehr könnte man sie als illegale Beorderungsreserve bezeichnen. Trotz ihrer Illegalität war die schwarze Reichswehr ein für die Reichswehr unentbehrlicher „Partner“ ohne den sie ihre Aufgaben nicht angemessen hätte bewältigen können. Mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht im Jahre 1935 und der Überleitung der Reichswehr in die Wehrmacht des Dritten Reiches hatte sich dann auch die schwarze Reichswehr überlebt.

Wie stets schloss sich dem informativen Vortrag eine rege Diskussion an. Im Anschluss ließ Generalleutnant a. D. Ruwe die Aktivitäten des RK West im laufenden Jahr Revue passieren und gedachte auch der der im Jahresverlauf verstorbenen Mitglieder bzw. Gäste Vizeadmiral a.D. Hans Frank, Oberst a.D. Dipl.-Kfm Erwin Stork, Generalleutnant a.D. Dipl.-Kfm. Dieter Warnecke sowie Oberst a.D. Karz-Jürgen von Bonin.

Der anschließende Stehempfang zum Jahresabschluss mit Brezeln und Getränken bot eine willkommene Gelegenheit zum kameradschaftlichen Gedankenaustausch.

Dr. Jürgen Blätzinger, Generaloberstabsarzt a.D.