“100. Jahrestag des Beginns der Schlacht um Verdun” – RK West am 24.10.2016

Vor gerade einmal 100 Jahren haben sich zwei Kulturvölker im Herzen Europas im wahrsten Sinne des Wortes bis aufs Blut bekämpft und die Blüte ihrer Jugend auf dem Schlachtfeld geopfert. Die Schlacht um Verdun im Jahr 1916 hat für dieses Geschehen zu Recht eine besondere Symbolkraft entfaltet. Gerade auch mit Blick auf die heutigen Probleme Europas erschien es lohnenswert, die politischen und militärischen Absichten und Ziele, die zur Schlacht führten, deren Auswirkungen und das zeitgeschichtliche Umfeld näher zu betrachten. GenMaj a.D. Schmidt-Petri, der in seiner letzten aktiven Verwendung als Generaldirektor der NATO-Logistik-Agentur NAMSA in Luxemburg keine Hundert Kilometer von Verdun entfernt lebte, hatte bei seinem Vortrag daher weniger das taktische Kein-Klein auf dem Schlachtfeld in den Blick genommen als vielmehr die Entscheidungen der verantwortlichen politischen und militärischen Führung sowie im Clausewitzschen Sinn die politischen und strategischen Zielsetzungen und Konsequenzen.
Eingangs führte er aus, warum sich die Schlacht um Verdun, obwohl sie strategisch nachrangige Bedeutung hatte und nicht einmal die verlustreichste Schlacht des I. Ersten Weltkrieges war, so tief in das Bewusstsein der beiden beteiligten Völker eingegraben hat. Er stellte sie sodann in den Gesamtzusammenhang dieses Krieges, der mit seinen Folgen Europa so nachhaltig verändert hatte.
Ausgehend vom beiderseitigen Kräfteverhältnis – mit einer deutlichen Unterlegenheit Deutschlands und seiner Verbündeten – und von den operativen Überlegungen der deutschen militärischen Führung zeigte er auf, wie sich an der Westfront aus dem anfänglichen Bewegungskrieg ein Stellungskrieg und schließlich ein Grabenkrieg mit einer 800 km langen Frontlinie entwickelte. Warum Anfang 1916 gerade bei Verdun, einer der stärksten Festungen der französischen Verteidigungslinie, der Versuch unternommen worden sei, diese Situation aufzubrechen und die strategische Initiative zurückzugewinnen, sei nicht ganz nachvollziehbar. Möglicherweise habe der Frontvorsprung in die deutschen Linien dazu eingeladen. Der deutsche Angriff Ende Februar 2016 hatte mit der Einnahme des Fort Douaumont zunächst einen Anfangserfolg, der auf französischer Seite zu der Überlegung führte, den Frontvorsprung aufzugeben, da man ihm keine strategische Bedeutung beimaß. Der Vorsitzende des Ministerrates Briand, der persönlich das Hauptquartier des französischen Oberkommandierenden Joffre aufsuchte, und später auch Präsident Poincaré bestanden jedoch wegen der politischen Bedeutung eines Sieges auf der Verteidigung der Festung. Mit der Versteifung des Widerstandes kam der deutsche Angriff bald ins Stocken und blieb ohne entscheidenden Geländegewinn. Im Gegensatz zur deutschen Seite wurden die französischen Divisionen in einer regelmäßigen Rotation ausgewechselt, so dass nahezu alle Kräfte im Laufe des monatelangen Ringens dort zum Einsatz kamen. Auch dies erklärt die besondere Bedeutung der Schlacht im Bewusstsein der französischen Bevölkerung.
Auf deutscher Seite – so führte General Schmidt-Petri aus – hätten sich seit Mitte März die Zweifel gemehrt, ob man in Verdun überhaupt erfolgreich sein werde. Im Stab der 5. Armee, die den Angriff führte, sei mehrfach vorgetragen worden, dass der Einsatz von Mensch und Material in keinem Verhältnis zu den zu erhoffenden Erfolgen stehe und der Angriff daher einzustellen sei. Aber auch auf deutscher Seite wurde die erbitterte Materialschlacht, mit der man, wenn schon kein signifikanter Geländegewinn zu erzielen sei, den „Gegner ausbluten“ wollte, aus Gründen des politischen Prestiges fortgesetzt. Die Dimension des blutigen Geschehens machte der Referent nicht nur an den Verlusten, sondern auch an einigen beeindruckenden logistischen Zahlen fest. Die deutschen Angriffsbemühungen wurden zwar als Konsequenz des erwarteten alliierten Angriffs an der Somme im Juli eingestellt, die Schlacht aber dennoch bis zum 19. Dezember 1916 fortgeführt. In ihrem Verlauf hatte die deutsche Seite zeitweise geringe Geländegewinne von bis zu 15 km erzielt; am Ende war der Frontverlauf nahezu derselbe wie zu Beginn.
Abschließend bedauerte General Schmidt-Petri, dass man nicht früher aus dieser Schlacht gelernt habe und die „Erbfeinschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich erst nach dem II.  Zweiten Weltkrieg beendet worden sei. Er erinnerte an den berühmten Händedruck zwischen Bundeskanzler Kohl und dem französischen Präsidenten Mitterand 1984 an den Gräbern von Verdun, mit dem die Versöhnung zwischen den beiden Völkern sichtbar ihren Ausdruck gefunden habe.
Er schloss seinen Vortrag mit den Worten: „Europa ist Frieden, unser Wohlleben ist dem Frieden gegenüber ein nachgeordnetes Produkt, auch wenn es manche Mitbürger … für den eigentlichen Lebensinhalt und Wesensgehalt von Europa nehmen. Politiker und Parteien in Deutschland und in Europa, die die EU bekämpfen, wissen nicht, was sie tun.“
Die folgende lebhafte Aussprache, an der sich viele Zuhörer beteiligten, machte in ihrem Fazit deutlich, dass viele militärische und politische Entscheidungen im Zusammenhang mit dieser Schlacht nur aus ihrer Zeit heraus zu verstehen seien und aus heutiger Sicht nur als absurd betrachtet werden könnten.
Zur Nachbereitung des Vortragsabends empfahl der Moderator die Broschüre „Die Schlacht um Verdun 1916“ von Christian E.O. Millotat und Manuela R. Krüger, erschienen im Hohenrain-Verlag.

Jürgen Ruwe, Generalleutnant a.D.